23.05.2024
Das Fahrerlager als Laufsteg – das hat in Monte Carlo zwar Tradition. Doch dieses Jahr wird das Schaulaufen besonders extrem ausfallen. Nicht so sehr bei den Promis, die von dem Grand Prix im viel zu engen Nobelfürstentum angezogen werden wie die Karnevalsflüchtlinge von Norddeich oder Norderney am Rosenmontagswochenende – sondern vielmehr für die Fahrer selbst.
Denn für viele von denen wird es dieses Jahr spannender als lange zuvor. Der Fahrermarkt ist so arg in Bewegung wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. „Silly Season“, die alberne Saison, tobt früher und intensiver. Und die drangvolle Enge am Hafen von Monte Carlo, wo die Motorhomes der Teams dichter beisammen stehen als in einem normalen Fahrerlager, lädt dazu ein, Symbolpolitik zu betreiben.
Valtteri Bottas hat bereits beim letzten Grand Prix in Imola gezeigt, wie man so etwas am besten macht: Der Finne, den eigentlich keiner mehr so recht haben möchte, ist betont unauffällig bei Williams ein und aus geschlendert, wohlfeil darauf achtend, dass Fotografen und Journalisten in der Nähe sind. Damit es Bilder gibt, die zeigen: Bottas spricht mit Williams fürs nächste Jahr.
Der Finne, der mehr durch schräge Videos und eine Vokuhila-Frisur mit Schnäuzer wie aus den Achtzigern als durch schnelle Runden auffällt, steht bei Sauber vor dem Aus. Denn Audi wird das Team übernehmen und ihm dann ab 2026 den Werksmantel überstülpen. Für Bottas, der dann schon aus dem besten Grand Prix-Alter raus ist, bleibt dann kein Platz mehr.
Audi hat Nicolas Hülkenberg geholt, das stand zu erwarten. Als zweiten Fahrer, eigentlich als Teamleader, möchten sie Carlos Sainz verpflichten. Doch der zaudert. Weil er weiß: Die ersten Jahre werden hartes Brot. 2025, noch als Sauber, drohen letzte Plätze, in den ersten Audi-Jahren steht auch kein unmittelbarer Durchbruch zu erwarten.
Mehr noch: Ob das mit Audi überhaupt was wird, ist fraglich. Denn die Herren der Ringe sind auf dem besten Wege, all’ jene Fehler zu wiederholen, die Hersteller wie BMW, Renault und Toyota auch in der Formel 1 in den Nullerjahren gemacht haben. Unternehmensstrukturen mit komplizierten Entscheidungswegen und der typischen Konzerndenke passen nicht in die Formel 1. Deswegen ist BMW, der vorige Werkspartner der Eidgenossen, auch erfolglos geblieben, von ein paar Grand Prix-Siegen mal abgesehen.
Audi installierte einen der Hauptdarsteller von BMW Motorsport als Formel 1-Kopf: den Australier Adam Baker, der im Umgang mit Fahrern generell als datengetriebener Hardliner gilt. Auf die emotionale Seite von Rennfahrern geht er nicht ein. Dabei ist gerade das Wohlfühlen für Piloten generell und für Sainz noch mal insbesondere so wichtig: Motorsport ist immer auch Kopfsache. Und Sainz hat nicht zuletzt in einer großen Personalitygeschichte in unserer Zeitschrift PITWALK, die Formel 1-Expertin Inga Stracke nach mehrmonatiger Recherche mit ihm und um ihn herum verfasst hat, gesagt, er bräuchte Stabilität, Sicherheit und so eine Art Nestwärme.
Jetzt drängt Audi Sainz zur Unterschrift, setzt dem Spanier immer neue Fristen und droht mit Ultimaten. Das ist genau der falsche Weg. Denn Sainz möchte umworben werden, nicht bedrängt. Nicht nur wegen der sportlichen Perspektive, sondern auch wegen des Umgangs mit ihm sucht er nach Alternativen: Mercedes? Um dort Lewis Hamilton zu beerben? Oder gar Red Bull? Falls die Sergio Pérez absägen oder Max Verstappen im Soge der ganzen personellen Veränderungen rund um den abgängigen Adrian Newey doch noch des Buhlens von Mercedes erliegt? Alles ist für Sainz besser als das Drängen von Audi. Die Instinktlosigkeit der Audi-Chefetage kommt bei Sainz als Respektlosigkeit an.
Und, mal genau nachgedacht: Audi will also – „will“ tatsächlich, nicht etwa „möchte“ – eine schnelle Entscheidung von Sainz. Mit welchem Recht? Und vor allem: mit welchem Argument? Sie winken zwar mit einen Millionengage. Aber die Familie Sainz ist ohnehin auf goldenen Rosen gebettet, schon seit der Zeit von Papa Carlos Sainz in der Rallye-WM, als die noch in voller Blüte stand. Geld reizt Sainz jr. nur bedingt, er fliegt eh’ schon mit Privatjets et cetera. Und die sportliche Perspektive ist weder Drohkulisse noch Lockmittel. Audi droht mit Fristen, die keinen Fahrer beeindrucken können. Im Poker mit den Neulingen haben die Piloten alle Asse im Ärmel. Doch die typische Großkonzerndenke verhindert, dass die Audi-Entscheider das erkennen. Darum hängt das ganze Verhandlungsbild schief.
Zumal rund um Baker lauter Konzernleute sind. Der ehemalige Entwicklungschef und Audi Sport Serienauto-Chef Oliver Hoffmann leitet das Formel 1-Geschäft. Für ihn ein Abstellgleis, damit er im Zuge einer vorangegangenen Neustrukturierung des gesamten Vorstands beiseite geschoben werden konnte, ohne entlassen werden zu müssen. Und Julius Seebach wird neuer Prokurist in Hinwil, von Audi eingesetzt. Seebach war bis vor kurzem Audi-Sportchef als Geschäftsführer der Audi Sport GmbH; er hat im Motorsport viel verbrannte Erde hinterlassen. Auch, weil er sich nicht an die dort herrschende Kommunikationskultur gehalten hat. Der Strom der Enttäuschten und Verärgerten in seinem Kielwasser ist länger als die Elbe.
Man kann zumindest Zweifel haben, ob Audi damit ein attraktiver Arbeitgeber für Sainz ist. Wenn der dem Werben des Geldes erliegt schon. Aber womöglich nimmt er sich damit selbst aus der Anwartschaft für Formel 1-Siege und -WM-Titel.
Deswegen schauen alle auf „Carlito“ – und suchen in Monaco am Wochenende demonstrativ und für alle sichtbar das Gespräch mit anderen Teams. Wer sich dabei fotografieren lässt, dass er am Hafen mit Verantwortlichen anderer Rennställe spricht – der spielt auf der Klaviatur der PR. Er möchte zeigen, dass er für andere Teams interessant ist – und so im Zweifel seinen Marktwert oder auch nur seinen Platz in der Formel 1 halten. Bottas, Zhou, Tsunoda, Ricciardo, Sainz, Magnussen – sie alle sind Figuren auf dem großen Schachbrett am Hafen. Immer in der Gefahr, hinten runterzufallen – aus dem Feld für 2025 oder schlicht tollpatschig direkt ins Hafenbecken des Mittelmeers.