25.04.2024
Am Samstagabend beginnt die Saison einer ganz besonderen Sportart: Speedway, besser gesagt: der Speedway-WM. In Gorican in Kroatien fängt die Grand Prix-Saison 2024 an, zum ersten Mal seit 10 Jahren mit einem deutschen Fixstarter, der alle Rennen bestreitet: Kai Huckenbeck aus Werlte im Emsland.
Huckenbeck – auf dem Bild oben beim Co-Kommentierten des German Speedway Masters-Finals in Dohren neben PITWALK-Chef und Hauptkommentator Norbert Ockenga zu sehen – hat zwei Mal die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Er fährt für Bromberg in der zweiten polnischen Liga, gilt als der derzeit beste deutsche Motorradfahrer auf Schotter im Oval mit begnadeter Maschinenbeherrschung und hat bei drei Gaststarts als Wildcard und Verletzungsvertretung in der WM im Vorjahr sogar den Dauerweltmeister Bartosz Zmarzlik in einem Lauf schlagen zu können.
Speedway ist ein Sport für harte Hunde. Die Fahrer steigen auch schon mal mit angebrochenen Knochen oder nach zu kurzen Genesungs- und Rekonvalszenzphasen wieder auf ihre Halblitermaschinen. Und sie machen um ihren Schmerzen kein Aufhebens: Das Adrenalin übertüncht beim Fahren die Pein, der schiere Wille und die Leidenschaft für den Sport in den Rennpausen dazwischen. Wenn es Motorsportler gibt, denen eine Heldenverehrung zurecht zuteil wird, dann sind es Bahnsportler.
Der Sport lebt von seinem Draufgängertum, der Nahbarkeit und dennoch Heldenhaftigkeit seiner Fahrer – und seiner Explosivität: Jeder Lauf dauert gerade mal eine Minute. Immer sind vier Mann im direkten Infight gegeneinander auf der Bahn. In einer Vorrunde werden in 20 solcher Heats nach dem Prinzip Jeder gegen Jeden acht Halbfinalisten ermittelt. Im Finale geht's dann über vier Runden und wieder nur eine Minute Renndauer um die fetten WM-Punkte.
Die Atmosphäre bei einem Speedwayrennen ist geprägt von einer ganz besonderen Dichte – einem Gemisch aus Motorenlärm, dem ganz besonderen Geruch von verbranntem Methanol und dem Wabern von Adrenalin, Bier- und Rennwurstaromen. Wer ein Mal beim Speedway war, der kommt immer wieder. Nicht nur zu WM-Läufen wie am Pfingstsamstag in Landshut, sondern auch zu anderen großen Events: Am 1. Mai in Brokstedt nördlich von Hamburg an der A7 etwa, am 4. Mai zur EM nach Stralsund oder am Pfingstsonntag wahlweise zum Störtebekerpokal nach Norden in Ostfriesland oder, abends, zum Pfingstpokal in den Hexenkessel von Güstrow.
Jede Reise wird ein unvergessliches Erlebnis.
In der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK vergleicht Chefredakteur Norbert Ockenga einige Motorsportsparten mit anderen Disziplinen und schaut nach, welche Sportarten generell und aus der Rennerei den Zuschauern welchen Unterhaltungswert bieten. Sieger aller Klassen ist Handball. Wenn man Ockengas Gedanken weiterdreht, dann ist Speedway – oder besser gesagt Bahnsport in all‘ seinen Facetten, inklusive Eisspeedway, Langbahn, Grasbahn und Seitenwagen – quasi der Handball des Motorsports. Und Huckenbeck sozusagen der Rune Dahmke auf zwei Rädern, mit Motor und ohne Bremse.
Huckenbeck hat prominente Vorfahrer: Egon Müller gewann 1983 als bislang einziger Deutscher die WM, in einem denkwürdigen Finale in Halbemond bei Norden in Ostfriesland – vor damals mehr als 40.000 Zuschauern. Und der letzte deutsche Fixstarter in der WM, Martin Smolinski aus Olching im Münchener Speckgürtel, gewann vor 10 Jahren gleich den ersten Großen Preis des Jahres – in Auckland auf der Nordinsel Neuseelands.
Ob der Emsländer, der noch in Wuppertal zur Welt gekommen ist, an diese Großtaten anknüpfen kann? Die Zeiten haben sich geändert, ein Grand Prix-Sieg von Huckenbeck wär' eine noch größere Sensation als die Leistungen von Müller und Smolinski damals.
Vor allem ist Huckenbeck ein anderer Typ als die beiden: still, in sich gekehrt und voll auf die Sache konzentriert. Ein ruhiger Arbeiter des Speedwaysports. Das spricht eigentlich eher für ihn. Allerdings täte etwas mehr Strahlkraft der Sache gut. Denn die Veranstalter der Grand Prix-Serie haben Hülkenberg nicht nur wegen seiner Leistungen für die WM nominiert, sondern auch, weil sie sich davon erhoffen, das Profil vom Speedway in Deutschland wieder zu schärfen.
Das kann funktionieren, wenn sich die Saison konsequent und folgerichtig entwickelt – wenn Huckenbeck also zuerst seine Konzentration aufs Wesentliche in Leistung ummünzt und dann damit auch nach außen hausieren geht.
Zuzutrauen wär's ihm. Das hat der Co-Kommentatoreneinsatz von Dohren gezeigt. Da hat er nämlich bewiesen, dass er seinen Sport auch an den Mann bringen kann – verständlich, gewürzt mit Charme und Humor. Diese Qualität muss er in sich wiederentdecken. Aber erst, wenn er auf der Bahn seine Form gefunden hat.
Bislang stimmt die Richtung: Bei den ersten Ligarennen und auch den Sparrings, wie Freundschaftsspiele zwischen zwei Ligamannschaften auf Polnisch-Englisch der polnischen Ligalandschaft heißen, aber auch bei einem Trainingslager in Gorican im März hat Huckenbeck Potenzial gezeigt, das sich für die WM-Saison gut anlässt. Kann er das nun umsetzen, dann muss Phase 2 folgen: Kommunikation.
Let the Music Do the Talking, hat Aerosmith mal gesungen. Huckenbeck lässt in Abwandlung dieses Hardrockklassikers erst den Rennsport sprechen. Damit umgeht er die Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Denn wenn die Leistungen nicht passen, dann werden aus großen Worten schnell zu großspurige Schaumschlägereien, und das wäre für den Stand der Speedwaydinge in Deutschland gerade kontraproduktiv.
England, einst eine Speedwayhochburg, inzwischen bestenfalls noch drittbeste Liganation der Welt hinter Polen und dem sportlich oft unterschätzten Schweden, steht dafür als Beispiel: Da gibt es eine Heerschar von Fahrern, die über die Leistung zur Außenwirkung gekommen sind, Dan Bewley, Robert Lambert, aber auch der Australier Jack Holder, der für Sheffield in England driftet. Alle drei performen erst und reden dann. Tai Woffinden hingegen, dreimaliger Weltmeister und seit ein paar Jahren auf vergeblicher Suche nach seiner Form von damals, geriert sich als Dampfplauderer. Damit kommt das tätowierte laufende Gemälde zwar regelmäßig in die Boulevardpresse, vor allem rund um den Heim-Grand Prix in Cardiff – aber auf Dauer büßt er bei den meisten Journalisten an Glaubwürdigkeit ein, und das würde auf den ganzen Sport abstrahlen, gebe es nicht Bewley, Lambert und die Aussies aus der Liga, die anders auftreten.
Die Aufgabe, die vor dem ersten Grand Prix am Samstag und vorm Heimrennen in Landshut am Pfingstsamstag nun vor Huckenbeck liegt, ist nicht zu unterschätzen. Speedway fristet in Deutschland völlig zu Unrecht ein Mauerblümchendasein als Randsportart. Doch die überschaubare Anzahl echter Fans kennt sich nicht nur gut aus – sondern ist vor allem enorm kritisch und teilt gern aus.
Die Erwartungshaltung ist enorm. Bislang geht Huckenbeck gut damit um, auch wenn man ihm anmerkt, dass er unter einem ganz besonderen Druck steht. Nicht nur von außerhalb, sondern aus sich selbst heraus, wie es für Sportler in seiner Position normal ist. Er zieht sich dabei aber eine Spur zu weit zurück. Das mag sich ändern, wenn der erste Grand Prix vorbei ist.
Es muss sich aber auch ändern.
In der neuen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK dreht sich nicht nur das Editorial um Speedway, sondern auch eine große Vorschau auf den Grand Prix von Deutschland in Landshut am 18. Mai. Das Heft wird erst nach dem Saisonauftakt in Gorican erscheinen. Es beinhaltet aber auch ein Interview mit Huckenbeck zu Landshut und zu seiner ersten vollen WM-Saison. Ihr könnt es hier schon bestellen: https://shop.pitwalk.de/magazin/119/ausgabe-77?c=6
Die Grands Prix selbst könnt Ihr, kommentiert von Norbert Ockenga, im Stream des Fernsehsenders Eurosport verfolgen: Discovery+ zeigt alle Trainings und jeden Grand Prix in voller Länge live. Dazu gibt es jeden Dienstagabend nach dem Grand Prix eine einstündige Zusammenfassung auf dem frei empfangbaren Fernsehsender Eurosport 1.