+++ 2024-08-29 19:14 : Blog – warum will niemand Mick Schumacher? +++ 2024-08-18 11:14 : Blog – der unsinnigste Vergleich des Jahres +++ 2024-08-08 17:24 : Podcast – Erinnerungen an Speedwaystar Tommy Dunker. Interview von Norbert Ockenga mit Weggefährte und Rivale André Pollehn +++
BACK

25.04.2024

Auf Speed-way


Am Samstagabend beginnt die Saison einer ganz besonderen Sportart: Speedway, besser gesagt: der Speedway-WM. In Gorican in Kroatien fängt die Grand Prix-Saison 2024 an, zum ersten Mal seit 10 Jahren mit einem deutschen Fixstarter, der alle Rennen bestreitet: Kai Huckenbeck aus Werlte im Emsland.

Huckenbeck – auf dem Bild oben beim Co-Kommentierten des German Speedway Masters-Finals in Dohren neben PITWALK-Chef und Hauptkommentator Norbert Ockenga zu sehen – hat zwei Mal die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Er fährt für Bromberg in der zweiten polnischen Liga, gilt als der derzeit beste deutsche Motorradfahrer auf Schotter im Oval mit begnadeter Maschinenbeherrschung und hat bei drei Gaststarts als Wildcard und Verletzungsvertretung in der WM im Vorjahr sogar den Dauerweltmeister Bartosz Zmarzlik in einem Lauf schlagen zu können.

Speedway ist ein Sport für harte Hunde. Die Fahrer steigen auch schon mal mit angebrochenen Knochen oder nach zu kurzen Genesungs- und Rekonvalszenzphasen wieder auf ihre Halblitermaschinen. Und sie machen um ihren Schmerzen kein Aufhebens: Das Adrenalin übertüncht beim Fahren die Pein, der schiere Wille und die Leidenschaft für den Sport in den Rennpausen dazwischen. Wenn es Motorsportler gibt, denen eine Heldenverehrung zurecht zuteil wird, dann sind es Bahnsportler.

Der Sport lebt von seinem Draufgängertum, der Nahbarkeit und dennoch Heldenhaftigkeit seiner Fahrer – und seiner Explosivität: Jeder Lauf dauert gerade mal eine Minute. Immer sind vier Mann im direkten Infight gegeneinander auf der Bahn. In einer Vorrunde werden in 20 solcher Heats nach dem Prinzip Jeder gegen Jeden acht Halbfinalisten ermittelt. Im Finale geht's dann über vier Runden und wieder nur eine Minute Renndauer um die fetten WM-Punkte.

Die Atmosphäre bei einem Speedwayrennen ist geprägt von einer ganz besonderen Dichte – einem Gemisch aus Motorenlärm, dem ganz besonderen Geruch von verbranntem Methanol und dem Wabern von Adrenalin, Bier- und Rennwurstaromen. Wer ein Mal beim Speedway war, der kommt immer wieder. Nicht nur zu WM-Läufen wie am Pfingstsamstag in Landshut, sondern auch zu anderen großen Events: Am 1. Mai in Brokstedt nördlich von Hamburg an der A7 etwa, am 4. Mai zur EM nach Stralsund oder am Pfingstsonntag wahlweise zum Störtebekerpokal nach Norden in Ostfriesland oder, abends, zum Pfingstpokal in den Hexenkessel von Güstrow.

Jede Reise wird ein unvergessliches Erlebnis.

In der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK vergleicht Chefredakteur Norbert Ockenga einige Motorsportsparten mit anderen Disziplinen und schaut nach, welche Sportarten generell und aus der Rennerei den Zuschauern welchen Unterhaltungswert bieten. Sieger aller Klassen ist Handball. Wenn man Ockengas Gedanken weiterdreht, dann ist Speedway – oder besser gesagt Bahnsport in all‘ seinen Facetten, inklusive Eisspeedway, Langbahn, Grasbahn und Seitenwagen – quasi der Handball des Motorsports. Und Huckenbeck sozusagen der Rune Dahmke auf zwei Rädern, mit Motor und ohne Bremse.

Huckenbeck hat prominente Vorfahrer: Egon Müller gewann 1983 als bislang einziger Deutscher die WM, in einem denkwürdigen Finale in Halbemond bei Norden in Ostfriesland – vor damals mehr als 40.000 Zuschauern. Und der letzte deutsche Fixstarter in der WM, Martin Smolinski aus Olching im Münchener Speckgürtel, gewann vor 10 Jahren gleich den ersten Großen Preis des Jahres – in Auckland auf der Nordinsel Neuseelands.

Ob der Emsländer, der noch in Wuppertal zur Welt gekommen ist, an diese Großtaten anknüpfen kann? Die Zeiten haben sich geändert, ein Grand Prix-Sieg von Huckenbeck wär' eine noch größere Sensation als die Leistungen von Müller und Smolinski damals.

Vor allem ist Huckenbeck ein anderer Typ als die beiden: still, in sich gekehrt und voll auf die Sache konzentriert. Ein ruhiger Arbeiter des Speedwaysports. Das spricht eigentlich eher für ihn. Allerdings täte etwas mehr Strahlkraft der Sache gut. Denn die Veranstalter der Grand Prix-Serie haben Hülkenberg nicht nur wegen seiner Leistungen für die WM nominiert, sondern auch, weil sie sich davon erhoffen, das Profil vom Speedway in Deutschland wieder zu schärfen.

Das kann funktionieren, wenn sich die Saison konsequent und folgerichtig entwickelt – wenn Huckenbeck also zuerst seine Konzentration aufs Wesentliche in Leistung ummünzt und dann damit auch nach außen hausieren geht.

Zuzutrauen wär's ihm. Das hat der Co-Kommentatoreneinsatz von Dohren gezeigt. Da hat er nämlich bewiesen, dass er seinen Sport auch an den Mann bringen kann – verständlich, gewürzt mit Charme und Humor. Diese Qualität muss er in sich wiederentdecken. Aber erst, wenn er auf der Bahn seine Form gefunden hat.

Bislang stimmt die Richtung: Bei den ersten Ligarennen und auch den Sparrings, wie Freundschaftsspiele zwischen zwei Ligamannschaften auf Polnisch-Englisch der polnischen Ligalandschaft heißen, aber auch bei einem Trainingslager in Gorican im März hat Huckenbeck Potenzial gezeigt, das sich für die WM-Saison gut anlässt. Kann er das nun umsetzen, dann muss Phase 2 folgen: Kommunikation.

Let the Music Do the Talking, hat Aerosmith mal gesungen. Huckenbeck lässt in Abwandlung dieses Hardrockklassikers erst den Rennsport sprechen. Damit umgeht er die Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Denn wenn die Leistungen nicht passen, dann werden aus großen Worten schnell zu großspurige Schaumschlägereien, und das wäre für den Stand der Speedwaydinge in Deutschland gerade kontraproduktiv.

England, einst eine Speedwayhochburg, inzwischen bestenfalls noch drittbeste Liganation der Welt hinter Polen und dem sportlich oft unterschätzten Schweden, steht dafür als Beispiel: Da gibt es eine Heerschar von Fahrern, die über die Leistung zur Außenwirkung gekommen sind, Dan Bewley, Robert Lambert, aber auch der Australier Jack Holder, der für Sheffield in England driftet. Alle drei performen erst und reden dann. Tai Woffinden hingegen, dreimaliger Weltmeister und seit ein paar Jahren auf vergeblicher Suche nach seiner Form von damals, geriert sich als Dampfplauderer. Damit kommt das tätowierte laufende Gemälde zwar regelmäßig in die Boulevardpresse, vor allem rund um den Heim-Grand Prix in Cardiff – aber auf Dauer büßt er bei den meisten Journalisten an Glaubwürdigkeit ein, und das würde auf den ganzen Sport abstrahlen, gebe es nicht Bewley, Lambert und die Aussies aus der Liga, die anders auftreten.

Die Aufgabe, die vor dem ersten Grand Prix am Samstag und vorm Heimrennen in Landshut am Pfingstsamstag nun vor Huckenbeck liegt, ist nicht zu unterschätzen. Speedway fristet in Deutschland völlig zu Unrecht ein Mauerblümchendasein als Randsportart. Doch die überschaubare Anzahl echter Fans kennt sich nicht nur gut aus – sondern ist vor allem enorm kritisch und teilt gern aus.

Die Erwartungshaltung ist enorm. Bislang geht Huckenbeck gut damit um, auch wenn man ihm anmerkt, dass er unter einem ganz besonderen Druck steht. Nicht nur von außerhalb, sondern aus sich selbst heraus, wie es für Sportler in seiner Position normal ist. Er zieht sich dabei aber eine Spur zu weit zurück. Das mag sich ändern, wenn der erste Grand Prix vorbei ist.

Es muss sich aber auch ändern.

In der neuen Ausgabe unserer Zeitschrift PITWALK dreht sich nicht nur das Editorial um Speedway, sondern auch eine große Vorschau auf den Grand Prix von Deutschland in Landshut am 18. Mai. Das Heft wird erst nach dem Saisonauftakt in Gorican erscheinen. Es beinhaltet aber auch ein Interview mit Huckenbeck zu Landshut und zu seiner ersten vollen WM-Saison. Ihr könnt es hier schon bestellen: https://shop.pitwalk.de/magazin/119/ausgabe-77?c=6

Die Grands Prix selbst könnt Ihr, kommentiert von Norbert Ockenga, im Stream des Fernsehsenders Eurosport verfolgen: Discovery+ zeigt alle Trainings und jeden Grand Prix in voller Länge live. Dazu gibt es jeden Dienstagabend nach dem Grand Prix eine einstündige Zusammenfassung auf dem frei empfangbaren Fernsehsender Eurosport 1.


Teile diesen Beitrag

Das könnte auch interessant sein:

  • 01.11.2024

    Die Kunst des Überholens

    Der Spruch begleitet jeden Motorsportler schon, seit er sich mit dem Sport befasst: „Die Kurve gehört mir“. Oder wahlweise auch irgendjemanden mit Namen, je nachdem, wer gerade der…
  • 25.10.2024

    Weichspüler statt Sportler

    Reisen nach Mexiko haben immer einen gewissen Abenteuerfaktor. Das liegt an Montezumas Rache. So heißt – zumindest in Motorsportkreisen schon seit den Achtzigern – eine typische Du…
  • 02.10.2024

    Auf nach Wasserburg

    Oldtimertreffen können zuweilen etwas merkwürdige Veranstaltungen sein, zumindest für echte Racer: Ältere Herrschaften stehen mit ebenso alten Autos beisammen, unterhalten sich ode…
  • 18.09.2024

    Der Oscar geht an…

    Jetzt macht die Formel 1 richtig Spaß. Denn ab jetzt muss jeder Schuss sitzen. Lando Norris hat noch eine reelle Chance, Weltmeister zu werden. Aber nur, wenn weder er noch McLaren…
  • 13.09.2024

    Max und Mojo

    Am Ende stellte es zwar keine Überraschung mehr da. Aber ein Kracher ist es dennoch: Adrian Newey, das derzeit größte Genie unter den Formel 1-Konstrukteuren, dockt bei Aston Marti…
  • 08.09.2024

    Kartoffel-Held

    Norick Blödorn gilt als das deutsche Toptalent im Speedway schlechthin. Der gerade mal 19-Jährige aus der Nähe von Kiel bestreitet ab dieser Woche mit seinem englischen Ligaverein,…
  • 07.09.2024

    Nippel, Zakspeed und noch viel mehr

    Hallo lieber PITWALK-Freund, wir sind schon fast wieder fertig mit der nächsten Ausgabe von PITWALK. Die Kollegen sind dabei, den 180 Seiten den letzten Feinschliff zu verpassen, …
  • 29.08.2024

    Niemand will Mick

    Der Anruf endet in einem murmelnden Ächzen. Christopher Mies, einer der besten deutschen GT3-Sportwagenpiloten überhaupt und momentan bei Ford in einem der Mustang für die nordamer…
  • 21.08.2024

    Ist Handball gleich Fußball?

    Manche Fässer hätte man am besten gar nicht erst aufgemacht. Kurz vor Ende der Formel 1-Sommerpause lässt sich Kyle Larson, ein 32-jähriger US-Rennfahrer aus Kalifornien, mit den W…
  • 31.07.2024

    Der Wonderboy ist tot

    Es ist genau die Nachricht, die alle Hoffnung zunichte macht. Tommy Dunker lebt nicht mehr. Der Schleswig-Holsteiner verstarb bereits am 4. Juli. Doch die Familie hielt die Todesna…
  • 28.07.2024

    Orange is the New Depp

    Die Flinders Street Station ist einer der wichtigsten Knotenpunkte im ÖPNV von Melbourne. Und an einer ihrer Ecke steht ein kleiner Lebensmittelladen, grad so, wie man ihn bis vor …
  • 26.07.2024

    Flutlicht-Spiele

    Speedway zieht seit ein paar Monaten immer mehr PITWALK-Leser und PITCAST-Hörer in seinen Bann. Nicht zuletzt, seit dieser spektakuläre Motorradsport regelmäßig Platz in den 180 Se…
2024 – BILD-PUNKTE LAREUS.MEDIA