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25.03.2022

Chemie-Experimentierkasten


Der einstige Klassenprimus stochert ziemlich im Nebel. Mercedes weiß offenbar auch nach der Datensichtung von Grand Prix 1 noch immer nicht, wie man dem Silberpfeil seine störrische Halsstarrigkeit austreiben und ihn gleichzeitig schneller machen soll. Denn das, was an diesem Wochenende beim zweiten Rennen in Dschidda geplant ist, ist nur eine Notlösung – die den Fahrern einen Kompromiss abringt.

Lewis Hamilton und George Russell mühen sich mit einem unruhigen Heck ab, vor allem auf der Bremse bei eingeschlagenem Lenkrad. Denn die Ingenieure haben den Heckflügel auf weniger Luftwiderstand getrimmt – und dabei ausgerechnet jene kleine Lippe obendran abmontiert, die wie eine Abrisskante für eine kalkulierbare Straßenlage sorgt, wenn man einlenkt.

Es ist wirkt wie eine Verzweiflungstat. Beim Saisonauftakt in Bahrein haben die englischen Schwaben sich eingeredet, ihr Manko bei der absoluten Endgeschwindigkeit liege daran, dass sie – und die Kundenteams – ihre Wagen mit größeren, steileren Heckspoilern ausgerüstet hätten als die schnelleren Gegner. Zugunsten von mehr Abtrieb, zulasten von höherem Luftwiderstand und damit der Topspeed.

Die Halbwertszeit dieser These war kurz. Nur bis zur Auswertung der Konkurrenz. Die enthüllte nämlich: Zwar hatte Ferrari windschnittigere Flügel drauf – Red Bull aber nicht. Und Kundenteam Williams war deutlich schneller in den Radarfallen, weil die Briten mit weniger Abtrieb fuhren als das Werk sowie die Kunden McLaren und Aston Martin – aber immer noch nicht schnell genug im Vergleich zu Teams mit anderen Motoren.

Mercedes hat also ein fundamentales Problem. Oder genauer gesagt zwei. Die Aerodynamik des Unterbodens mit seinen Kanälen und Schächten funktioniert nicht durchgängig. Es kommt immer wieder zu Strömungsabrissen, sogenannten Aero Stalls, und dann pulsiert das Auto in ein unkalkulierbares Hoppeln. Um das wegzukriegen, dreht Mercedes die hintere Bodenfreiheit höher. Aber die neue Luftführung der aktuellen Formel 1-Wagengeneration ist nicht mehr für jenes „High Rake“-Konzept geeignet, das Red Bull in den vergangenen Jahren immer weiter umgesetzt hat. Deswegen wird der Mercedes störrisch: Das höhere Heck verschiebt viel Last auf die Front, sodass der Wagen je nach Tempo entweder untersteuert – oder einen abrupten Heckschwenk in einen Drift einlegt.

Neben dieser aerodynamischen Baustelle muss Mercedes aber auch einsehen: Der Motor ist nicht mehr schnell genug. Denn durch die vom Regelwerk erstmals erzwungene Beigabe von 10 Prozent nachhaltig gekeltertem E10-Ethanol verändert sich die Charakteristik des Kraftstoffs. Dessen Heizwert ist anders. Darauf muss man mindestens die Einspritzdrücke penibel anpassen, aber auch die Gemischanreicherung und die externe Kühlung des Motors. Mercedes hat diesen Rattenschwanz, den das neue Ökobenzin nach sich zieht, nicht ins letzte Detail durchdacht – auch, weil bei Petronas, dem Lieferanten für Benzin und Öl, immer neue Laboranten auf den Formel 1-Planstellen sitzen. So kann es keine integrierte Entwicklung von Betriebsstoffen und Motorhardware geben, es bleibt Flickwerk mit zu vielen Reibungsverlusten. Das Leistungsmanko, das Mercedes sich so eingehandelt hat, verblüfft selbst die eigenen Reihen.

Das mit E10 versetzte Benzincuvée kostet jeden Motor im ersten Schritt Leistung. Denn der Cocktail ist gestreckt. Red Bull und Ferrari haben das Leistungsmanko zusammen mit ihren Lieferanten wegentwickelt und egalisiert. Mercedes schleppt es weiter mit sich rum.

Deswegen wird die Aufholjagd auch deutlich länger dauern als im vergangenen Jahr. Denn neben der heiklen Aerodynamik muss nun auch die Hightechbaustelle Motor und Chemie angegangen werden. Gut möglich, dass der WM-Zug schon abgefahren sein wird, bis die beiden Problemfelder abgearbeitet werden können.


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