09.01.2019
Die besten Gespräche führt man nicht im Biwak, wo alles hektisch und staubig ist – sondern in Ruhe vor der Rallye Dakar. So ist es auch mit Nani Roma, dem ebenso hünenhaften wie sanftmütigen Piloten aus der Allradmannschaft von X-Raid, gewesen.
Der Spanier sagte mir kurz vor Silvester die nachdenklichen Worte: „Diese Dakar wird eine Rallye der Beifahrer“.
Denn obwohl die Streckenführung kurz und das Terrain nicht abwechslungsreich ist, wirft es dennoch gerade bei der der Orientierung große Unwägbarkeiten auf. Oder vielleicht auch gerade deswegen. Denn nachdem Chile und Argentinien abgesprungen waren und Peru als einziges Austragungsland übrig geblieben war, mussten die Veranstalter der Rallye eine Notlösung aus dem Hut zaubern. Um möglichst viel Strecke und so viel Abwechslung und Schwierigkeitsgrade wie nur irgend realisierbar auf einen engen Raum zu pferchen, steckten sie meisten Wertungsprüfungen als Schleifen ab. Deren Slalom wird durch die anzufahrenden Wegpunkte vorgegeben: Wer einen solchen Wegpunkt verpasst, fängt sich eine Strafe, man muss also einer ganz bestimmten, im Roadbook vorgegebenen Route nachfahren.
Dabei kommt es auf vielen Rundkursen vor, dass die Fahrer im Laufe der Etappe ihren eigenen Spuren wieder begegnen: wenn sie etwa in südlicher Richtung losgefahren sind, dann unten wenden und zum Biwak zurück nach Norden ihre eigenen Wege kreuzen.
Vor dieser Begegnung mit der eigenen unmittelbaren Vergangenheit haben die Fahrer einen Höllenrespekt. Nani Roma nennt das gar eine Charakterfrage: „Der Navigator muss seelisch gefestigt genug sein, um sich nicht von den Spuren in die Irre leiten zu lassen. Denn man fällt natürlich leicht darauf ein, die für Spuren von anderen Teilnehmern zu halten, die die dieselbe Richtung fahren wie man selbst – und denen man einfach nur nachzufahren bräuchte. Doch wenn man das tut, dann biegt man irgendwann falsch ab – und kann wieder umdrehen und ein ganzes Stück des Weges zurückfahren.“
Die verschiedenen Kreuzspuren sind ein Härtetest für das Vertrauensverhältnis zwischen Fahrer und Co. Und gerade da liegen verschiedene Spannungsfelder verborgen: Giniel de Villiers hatte Dirk von Zitzewitz, seinen langjährigen Navigator, nach der letzten Dakar eigentlich schon aussortiert. In der Südafrikanischen Offroad-Meisterschaft probierte de Villiers es den Sommer – als unseren Sommer, seinen Winter – über mit zwei verschiedenen neuen Beifahrern, doch kurz vor der Dakar heuerte er dann doch wieder seinen Ostholsteiner Partner an, mit dem zusammen er den Marathon ja auch schon mal gewonnen hatte.
Das Resultat kann sich sehen lassen. Immerhin führen die beiden seit gestern die Rallye an, weil sie an einem kritischen ersten Tag genau das gemacht haben, was sie schon immer auszeichnet: nicht auf Teufel-komm-raus Tempo bolzen, sondern mit Verstand und Übersicht fahren und so einige von jenen Klippen umschiffen, über die andere stürzen. Denn sowohl gestern als auch vorgestern waren schon Tage, an denen die Beifahrer extrem gefordert waren: Wer auf der ersten, kurzen Etappe das ausgetrocknete Flussbett aus Sicherheitsgründen umfahren wollte, der bog schnell mal in ein Dünental ein, das von der Route weg mäanderte und einen zum Umkehren zwang, um noch alle Wegpunkte zu erreichen. Und gestern haben die Autos die Etappe eröffnet, da kam der Übersicht der Beifahrer bei der Orientierung eine ganz neue Gewürznote hinzu – mangels jeglicher Spuren der vorausfahrenden Motorräder wie sonst immer.
Herrscht also wieder Glück und Segen im „Bakkie“, wie der Pritschenwagen auf gut Südafrikanisch heißt? Scheint so.
Zwar beteuern beide, die Differenzen seien aussortiert. Und sowohl de Villiers als auch von Zitzewitz sind ruhige, vernünftige Männer mit Weitsicht und Ausgeglichenheit. Gleichzeitig hat der Norddeutsche sich aber auch darüber beklagt, wie unschön und stillos seine Verabschiedung vor knapp einem Jahr vonstatten gegangen sei; da bleibt ein Riss, selbst wenn es nicht zugegangen ist wie zwischen Boris Becker und seiner Lilly.
Die Frage ist: Wie reagiert diese unfreiwillige Sollbruchstelle, die de Villiers ins Vertrauensverhältnis eingezogen hat, wenn es zum ersten Mal knifflig wird – und wenn vielleicht sogar während der Fahrt eine falsche Entscheidung getroffen wird? Bricht dann alles wieder auf, und geht die Rallye für die Mitfavoriten in ihrem Toyota Hilux-Pritschenwagen aufgrund alter Wunden spontan koppheister?
Die Geschichte der Rallye Dakar ist voll von zerrütteten Verhältnissen zwischen Fahrer und Co., das Video, das ich am Mittwochmorgen auf Twitter geteilt habe, zeigt sehr augenfällig und gleichzeitig äußerst humorvoll, was im Auto passiert, wenn Fahrer und Beifahrer sich so richtig schön in die Wolle kriegen. Ich habe das zwar vor ein paar Jahren schon mal geteilt – aber es ist immer wieder sehenswert.
Wie, Ihr kennt das nicht und habt es nicht gesehen? Dann nix wie ran an Twitter und unserem Team da folgen: twitter.com/pitwalkmedia. Das lohnt sich immer, denn da gibt’s auch News und andere Einblicke in unseren Arbeitsalltag.
Vor allem Carlos Sainz hat lange Zeit einen enormen Verschleiß gehabt – denn der Spanier kann die Coolness eines Vulkans und den Charme eines Eimers Mostrich an den Tag legen, wenn die Dinge nicht nach seinen Vorstellungen laufen.
Wir haben ja bei der Analyse der vergangenen Rallye Dakar in der Printausgabe unserer Zeitschrift PITWALK sehr genau geschrieben, warum „El Matador“ im Januar 2018 bei seiner Siegfahrt so ruhig geblieben war: Sein Sohn Carlito Sainz, der Formel 1-Jüngling, hat ihn in allabendlichen Telefonaten mit einem beruhigen Einfluss auf den Teppich bleiben lassen. Der Stolz auf den eigenen Sprössling war für Sainz erstmals die alles überlagernde Gefühlswelt, sodass sein eigener unbändiger Ehrgeiz hintangestellt wurde. Das hat dem Madrilenen eine Gelassenheit gegeben, die er selbst von sich gar nicht gekannt hat.
Damit ist er auch in die diesjährige Rallye eingestiegen. Und mit demselben Co., der ihn auch im Vorjahr durch Südamerika gelotst hat.
Und dass Stéphane Peterhansel sich gestern für 20 Minuten eingegraben hat – da steckt auch eine Geschichte hinter der Geschichte dahinter. X-Raid hat ja dieses Jahr für seine Buggy-Brigade drei Viertel der letztjährigen Peugeot-Werksfahrer angeheuert. In der Musikszene würde man so etwas eine „Supergroup“ nennen, was da die weiterentwickelten Hecktriebler aus Trebur fährt.
Und innerhalb dieser Supergroup hat man ein bisschen herumrochiert: Jean-Paul Cottret, der langjährige Navigator von Peterhansel, souffliert jetzt für Cyril Despres. Dessen bisheriger Co. David Castera sitzt als Beifahrer neben Peterhansel. Um im Bild zu bleiben: Das ist in etwa so, als wenn in einer Rockband der Lead-Gitarrist plötzlich zum Rhythmus-Gitarristen gemacht wird un umgekehrt: Es kann funktionieren, aber es dauert eine Weile, bis die jeweiligen Einsätze und auch die Choreografien auf der Bühne bei Live-Konzerten sitzen.
Man wird es nie beweisen können. Es ist zumindest aber sehr wahrscheinlich, dass das eingespielte Duo Peterhansel/Cottret mit der Krise durch den Elektroausfall anders umgegangen wäre als die neue Paarung – und sich womöglich infolge dessen auch gar nicht erst festgefahren hätte. Denn gerade solche Fehler sind bei Peterhansel eigentlich bislang immer höchst selten gewesen.
Ein weiteres Indiz für die Wichtigkeit eines eingeschliffenen Vertrauensverhältnisses. Ich bin gespannt, wie sich das zwischen de Villiers und von Zitzewitz entwickelt, nach dem Hin und Her vom Sommer.
Ach ja, und geht unbedingt mal rüber auf Twitter. Dieses eine kurze Video, das ich gerade retweetet habe – genial. Genau die richtige Dosis Gelächter am Morgen.