10.01.2019
So viel Palaver, und am Ende ist alles für die Katz’. Mehrere Stunden haben verschiedene Aktive, die sich vom Roadbook genarrt fühlten, bei der Rallyeleitung vorgesprochen – und am Ende beschieden die französischen Organisatoren ihnen alle einen lapidaren Grund für die Absage. „Es gibt in diesem Jahr eine neue Regel“, wundert sich Motorradfahrer Matthias Walkner in der deutschen Nacht, „dass man gegen das Roadbook nicht mehr protestieren darf.“
Das klingt wunderlicher als es ist. Denn ums Roadbook – dessen Genauigkeit und auch um die Nachbearbeitung durch die Fahrer – tobt schon seit Jahren ein Streit. Und der ist in diesem Jahr noch durch eine Debatte um die Platzierung jener Wegpunkte verschärft worden, die von allen Piloten angefahren und digital aufgelesen werden müssen.
Das Roadbook wird jeweils am Abend vor der nächsten Etappe im Biwak ausgegeben. Dann stürzen sich die Navigatoren auf den Spiralblock und ergänzen ihn mit Leuchtstift und kleinen handschriftlichen Notizen so, dass sie meinen, damit am besten klarzukommen.
Sie sind dabei längst nicht mehr so allein wie früher. In Zeiten von Smartphone, W-Lan, Google Maps und anderen naseweisen Digitalisierungserrungenschaften werden die Roadbooks in Windeseile abfotografiert und zur Teambasis übermittelt. Dort warten sogenannte „Map Men“ nur darauf, das bevorstehende Gelände digital zu durchforsten und den Fahrern bzw. Navigatoren zusätzliche Infos durchzugeben.
Diese Arbeitsweise hat mit dem Geist der Rallye Dakar zwar genauso wenig zu tun wie jene Schattenteams der Formel 1-Rennställe, die – inklusive hochbezahltem Profirennfahrer – während eines laufenden Grand Prix-Wochenendes am Teamsitz die Trainings und Rennen parallel mit- oder nachts nachfahren, um neue Ansätze für die Abstimmung zu erarbeiten. Aber es ist eine Folge der Digitalisierung, und wie so oft gilt: Das, was technisch machbar ist, wird auch gemacht. Man kriegt den Geist nicht wieder in die Flasche.
Genau das probiert der Veranstalter allerdings dadurch, indem er das Roadbook immer weiter verschärft. Das erste Hilfselement, das er abschaffte, war eine Zusatzspalte „Raum für Ihre Notizen“, in welcher die Fahrer und Navigatoren ihre eigenen Erkenntnisse noch mal in Stichpunkten aufschreiben und so die ganze Orientierung präzisieren konnten. Seither sind nur noch kleine Weißflächen für bestenfalls einzelne Worte vorgesehen. Das Roadbook von Daniel Elena, das ich als Foto zu diesem Blog zeige, verdeutlicht diese Einschränkung.
Ihr merkt es – ich bin schon wieder bei dem Thema des Blogs von gestern: Die Beifahrer – oder auf dem Motorrad und Quad halt die Multitasker in den Fußrasten oder auf dem Sattel – sind wichtiger denn je. Die Rumpfdakar mit nur einem Land macht die Navigation zu einem Schlüssel.
Das ist gewollt, denn die Notlösung muss den Teufel im Detail stecken haben, um nicht als Verlegenheitslösung enttarnt zu werden. Es gab schließlich genug Externe, die schon das Ende der Dakar herbeigeschrieben haben. Diesem Rufmord wollten die Ausrichter mit einer besonders taffen Variante gegenarbeiten.
Und das Anfahren der Wegpunkte bleibt nach wie vor besonders fies. Denn der Automobil-Weltverband FIA hat für den Marathon-Weltcup, der im Schatten der Dakar fristet, eine Regeländerung ersonnen, die von der A.S.O. – den Dakar-Veranstaltern – nicht mitgetragen wird. Bei den Weltpokal-Marathons werden die Wegpunkte bewusst so ausgestreut, dass sie von Sandlöchern und -pfannen oder irgendwelchen Kanten und Klippen im Gelände entfernt liegen und die Fahrer im Zweifel sogar von diesen Fallen weglotsen.
Der Grund dafür ist der schwere Unfall von Nani Roma im Januar 2018. Der fuhr beim Anpeilen eines Wegpunkts mit Vollgas auf einen Absatz zu, den er wegen des diffusen Lichts und der wenigen Schatten und Konturen in den südamerikanischen Wüsten nicht sehen konnte – und überschlug sich bei 150 km/h seitlich versetzt. Bei der ersten Rolle schlug er sich an den Auswüchsen seines Ohren-Schalensitzes, die den Kopf bei einem Seitenaufprall halten sollen, dermaßen heftig den Schädel an, dass er bewusstlos im Sitz hing. Beifahrer Alex Haro sah, dass sein K.O. geschlagener Chef immer noch Vollgas gab, während sich das Auto weiter überschlug – und wurschtelte Romas rechtes Bein im Flug irgendwie vom Gaspedal.
Nach der Landung irrte Roma durch die Gegend, suchte sein Auto, um sofort loszufahren und musste erst von Haro informiert werden, wo er sei und was passiert sei. Mit dem Trümmerhaufen brauchte man ohnehin nicht weitermachen.
Solche dramatischen Bilder soll es möglichst nicht mehr geben, deswegen soll die Route, die durch die Wegpunkte vorgegeben wird, etwaige Fallen bewusst umschiffen. Beim Weltpokal der FIA.
Doch zwischen der FIA und dem A.S.O. geht es zuweilen zu wie zwischen dem Verband und dem ACO, dem Veranstalter der 24 Stunden von Le Mans. Jeder findet sein eigenes Regelwerk und vor allem sich selbst am besten. Die A.S.O. sitzt auf einem hohen Ross, denn sie veranstaltet auch die mächtige Tour de France, kann also entsprechend durchregieren.
Deswegen negiert sie auch die FIA-Anregung, mit den Wegpunkten einen Slalom der Sicherheit zu stecken. Gestern lagen wieder Wegpunkte direkt vor Sandlöchern – die Kunst soll nun mal nicht nur darin bestehen, die Way Points zu finden, sondern sie auch von der richtigen Seite aus anzufahren. Wer von der falschen Kante kommt, purzelt halt in eine Kuhle.
Auch dagegen kann man nicht protestieren, Zeitgutschriften sieht der Veranstalter nur dann vor, wenn man einem gestrandeten Kollegen geholfen und deswegen bewusst seine eigene Weiterfahrt geopfert hat. Doch wer sich verirrt oder in den Wirren des Roadbooks verfängt, der hat am Grünen Tisch nichts zu wollen. Die knappe Begründung dazu musste sich nicht nur Walkner anhören – sondern auch Sébastien Loeb und sein Co. Daniel Elena, die nach ihrer verkorksten Etappe ebenfalls bei der Rallyeleitung vorgesprochen hatten.
Walkner erinnert sich in seinen unvergleichlichen eigenen Worten an die Argumentation der Franzosen: „Weil – is’ halt so, irgendeiner gewinnt halt immer, weil er sich nicht verfahren hat.“