11.01.2021
Sébastien Loeb ist am Montagabend aus der Rallye Dakar ausgestiegen. Der ehemalige Rallye-Dauerweltmeister und sein Beifahrer Daniel Elena sind einer Verkettung unglücklicher Umstände auf der Marathonetappe zum Opfer gefallen – in deren Mittelpunkt wieder mal die fragilen Michelin-Reifen für die Allradmodelle stehen.
Loeb erlitt auf dem heutigen zweiten Abschnitt der Marathonprüfung erneut zwei Reifenschäden. Damit war sein Vorrat an Ersatzreifen erschöpft. Und Nachschub konnte nicht mehr kommen. Denn der Servicetruck von Prodrive, in dem theoretisch noch mehr Reifen hätten geladen sein können, ist bereits seit Sonntag nicht mehr in der Rallye dabei – beim Versuch, dem schon da mit Reifenschäden gestrandetem Loeb möglichst schnell zur Hilfe zu eilen, hatte er einen Schaden an seiner Hinterachse erlitten und war nur noch mit Zwei- statt Allradantrieb unterwegs. Ein Lkw als Fronttriebler – ein aussichtsloses Unterfangen in den tiefsandigen Passagen vom ersten Marathontag.
Loeb hatte schon vorher 20 Stunden in einer Wüste verbracht, weil er sich auf einer waschbrettartigen Buckelpiste einen linken Querlenker zerborsten hatte – im Servicetruck aber nur rechte eingelagert waren. Der Truckie musste ewig nach den passenden Teilen fahnden, Loeb und Elena vertrieben sich die Zeit bei einem selbst gesammelten und geschichteten Lagerfeuer und kamen schließlich gegen zwei Uhr nachts im Biwak an.
Das war immerhin vorm Ruhetag, sodass das Team den Hunter in Ruhe wieder flottmachen konnte. Doch gegen die haufenweisen Reifenschäden, die alle Allradler und damit auch die Prodrive-Hunter jeden Tag treffen, sind selbst die Briten machtlos. Auch auf dem ersten Teil der Marathonetappe platzen Loeb wieder Reifen, dazu gibt's einen Radlagerdefekt als Kollateralschaden.
Auf der Marathonetappe darf zwar der Fast Assistance-Truck, der theoretisch in derselbe Lkw-Wertung mitmischen könnte wie Kamaz und Co., hinter den Rallyewagen über die Etappen hetzen und abends im Biwak auch Teile spenden. Andere Team-Lkw oder Dienstleister sind aber nicht statthaft. Und weil der Ersthelfer-Lkw ausfiel, musste Prodrive das Auto von Loeb als Organspender umwidmen.
Denn Nani Roma ist mit dem zweiten Hunter hinter Kuba Przygonski/Timo Gottschalk Fünfter. Also das präferierte Pferd im Hunter-Stall. Abends im Biwak der Marathonetappe wandert fast das gesamte Ersatzteillager und auch ein Reserverad von Loebs Auto in den Bauch von Romas Boliden. Deswegen kann Loeb nur noch mit einem Ersatzrad in den zweiten Teil der Marathonprüfung fahren. Auch eine verbogene Bremszange als Kollateralschaden von einem Reifenplatzer auf Marathontag 1 bleibt unrepariert, der Hunter hat nur noch drei voll zupackende Bremsen.
Als Loeb auf Teil 2 der Marathonprüfung wieder zwei Reifen platzen, hat der Elsässer schlicht nicht mehr genügend Ersatzteile an Bord.
Nach einer notdürften Behelfsreparatur kurvt Loeb seinen Hunter aus der Prüfung und fährt das heutige Etappenziel auf der Serviceroute an – also jener Landstraße, auf welcher der Begleittross wie eine bunte Karawane von Biwak zu Biwak tingelt. Dadurch lässt Loeb zwangsweise reihenweise jene Wegpunkte aus, die man im Wettbewerb wie bei einer digitalen Schnitzeljagd längs der Rallyeroute anfahren muss.
Die dadurch angehäufte Strafzeit – Maßeinheit eher Tage als Stunden – ist der Tropfen zu viel. Loeb informiert das Team am Montag, dass er aus der Rallye aussteige.
Dass der Hunter mehr Potenzial hat als Loeb zeigen konnte, stellt Roma unter Beweis – auf den sich nun der ganze Reifen- und Teilevorrat der Engländer konzentriert. Der hünenhafte Spanier hat heute beim schweren Unfall des Motorradfahrers Xavier de Soultrait erste Hilfe geleistet und dem französischen Husqvarna-Fahrer beigestanden, bis die Ärzte da waren.
Denn Roma ist – anders als Loeb – ein Marathonrallyefahrer durch und durch. Er ist mit Auto-Spitzenreiter Stéphane Peterhansel und dem am Sonntag an Covid-19 verstorbenen Hubert Auriol einer von nur drei Fahrern, welche die Dakar auf dem Motorrad und im Auto haben gewinnen können.