31.08.2018
Im Pressezentrum von Monza stehen warnende Schilder. Man solle seinen Laptop oder seine Kamera nicht allein am Platz zurücklassen, mahnen die DIN-A4-großen Plastikaufsteller, denn es bestehe die latente Gefahr des Diebstahls.
Der Lombardei-Grand Prix ist bei weitem nicht so romantisch, wie verklärte Italien-Liebhaber einem das – quasi als Erbe der Wirtschaftswunder-Urlaubsziel-Schwärmerei glauben machen wollen. Im hallenartigen Pressesaal oberhalb der Boxengasse spielen sich schon seit Jahren immer wieder ärgerliche Szenen ab.
Auch die Verkehrsführung der Carabinieri mündet alljährlich in einem Grande Casino. Vor allem, wenn man durch die Kleinstadt Monza anreist – und nicht jenen Schleichweg über eine Bahnlinie und die Mündung in die Steilkurve der alten Rennstrecke hinweg kennt, der einen quasi von der falschen Seite ins Innere des gigantischen Asphaltovals im Königlichen Park führt.
Wenn man sich mit den ganzen Fährnissen arrangiert hat, bleibt Monza einer der faszinierendsten Großen Preise des Jahres. Nicht nur, weil die ganze Anlage immer noch den baulichen Charme der Achtziger versprüht, man also noch Motorsport nach altem Schrot und Korn erleben kann. Vor allem, weil die langen Geraden und schnellen Kurven – Stichworte Lesmo und Parabolica – eindrucksvoll demonstrieren, was die Formel 1-Autos wirklich können. Speed, Motorleistung, Beschleunigung und Endgeschwindigkeit – auf kaum einer anderen Strecke kommt die Brutalität der Rennwagen so offensichtlich zum Vorschein wie im Mischwald Norditaliens. Hier merkt man: Die Boliden sind in Wahrheit Raketen auf Rädern.
Dieser Eindruck wird von der modernen Formel 1 zusehends verwässert, weil das Fahren in der multimedialen Welt immer mehr als viel zu einfach verzwergt wird. Die Onboard-Kameras, mit denen man den wie behütet in den Cockpits eingemummelten Fahrern über die Schulter schaut, vermitteln schon nicht den Eindruck, als müssten die Piloten sonderlich viel leisten. Und wer sich dann noch in Video- und Konsolenspiele stürzt, für den entsteht endgültig der Eindruck: „Das kann ich selbst auch.“
Aber das täuscht unheimlich. Zwar sind manche dieser Computerspiele so originalgetreu, dass sie als Basis für die fahrdynamischen Simulatoren der Rennteams hergenommen werden. Aber selbst dann programmieren die EDV-Experten der Teams ihre „Driver in the Loop“, kurz „DiL“, genannten Simulatoren noch mal mit Riesenaufwand und viel Fummelarbeit weiter, um auch wirklich ein wirklichkeitsgetreues Bild darzustellen.
Wie weit ein solcher DiL gediehen ist, habe ich selbst schon erproben dürfen – bei einem Tagesausflug in den Simulator des 1.000 PS-Geschosses Porsche 919 Hybrid LMP1 für die Sportwagen-WM und die 24 Stunden von Le Mans. Aber selbst die besten DiL reichen oft nicht an die wahren Herausforderungen des Alltags heran. Ich habe mich schon mit vielen Hochkarätern des Rennsports darüber unterhalten, wie sinnvoll und intensiv eine DiL-Nutzung sich anbietet. Etwa dem neunfachen Rallye-Weltmeister Sébastien Loeb, als er auf die Rundstrecke in die Tourenwagen-WM wechselt, dem m multiplen Tourenwagen-Weltmeister Yvan Muller oder zuletzt Fernando Alonso für eine große Geschichte in der nächsten Ausgabe von PITWALK. Die Quintessenz lautete stets: Simulatoren sind gut, aber kein Allheilmittel; es fehlen immer gewisse Parameter, um ein realistisches Gesamtbild zu erhalten, seien es die Fliehkräfte in den Kurven, ein reales Wiedergeben der Geschwindigkeit oder einfach nur Lichteffekte und Schattenwandern.
Ich finde es immer wieder schade, dass das wahre Können der Rennfahrer in der digitalen Welt unnütz und unangebracht runtergebrochen wird. Nur deswegen entsteht eine unbotmäßige Kritik etwa an den Fahrfehlern von Nico Hülkenberg vor der ersten Kurve von Spa oder gar von Sebastian Vettel im Regen von Hockenheim. Dass da binnen Sekundenbruchteilen Entscheidungen getroffen und unter größtem körperlichen Stress Manöver durchgeführt werden müssen, fällt so immer wieder hinten runter.
Wer sich in Monza mal neben die Strecke stellt, dem wird schlagartig wieder klar, was für eine Urgewalt die Rennfahrer bändigen müssen – und was es für Folgen hat, wenn sie auch nur eine Winzigkeit verkehrt machen oder außer Acht lassen. Monza ist neben Silverstone – jener Strecke, auf der ich digital meine Porsche LMP1-Simuatorstunden verbracht habe – die Piste, auf der man am besten sieht, was die Boliden in völlig entfesseltem Zustand drauf haben und was die Fahrer können müssen.
Aber dazu muss man erst mal an die Stellen kommen, wo man das wirklich hautnah erleben kann. Und das ist im allgemeinen Verhau von Monza gar nicht so einfach. Denn meistens stehen herrschsüchtige Ordnungskräfte und Carabinieri genau dort, wo man sie nicht gebrauchen kann – und wo sie eigentlich auch am wenigsten Nutzen entfachen.