09.07.2020
Hinter den Masken raunt sich die Formel 1-Gemeinde seit drei Tagen immer dieselbe Frage zu: „Ist Fernando Alonso besser als Sebastian Vettel?“ Denn schließlich hat Renault den Iberer aus dem Grand Prix-Ruhestand zurückgeholt – statt Vettel vor der unfreiwilligen Frühverrentung zu bewahren.
Die Antwort lautet kurz und knapp: „Ja.“
Aber reicht das, um nach einer so langen Pause wieder an der Spitze Fuß fassen zu können? Auch da traue ich mir eine knappe Replik zu: „Nein“.
Denn alle Comebacksportler in der Königsklasse in letzter Zeit sind gescheitert: Michael Schumacher, Kimi Räikkönen, der dauerverletzte Robert Kubica – sie alle konnten nie wieder an alte Formkurven anknüpfen. Wer aus der aktuellen Formel 1 ein Mal draußen ist – der kommt nie wieder so richtig rein. Auch wenn er so viel mehr kann als alle Anderen wie etwa Alonso.
Bei Alonso muss man zur Betrachtung ein bisschen weiter ausholen. Zum Glück habe ich ihn auch nach der Formel 1 in all’ jenen Bereichen, in denen er danach fuhr, stets Erste Reihe Mitte verfolgt und auch immer wieder mit ihm gesprochen.
Der zweifache Exweltmeister hat bei allen Einsätzen außerhalb der Formel 1 überzeugt, die er seit seinem Ausstieg gefahren hat: Auf der Langstrecke mit Sportprototypen ebenso wie bei seinen Versuchen, das mächtige 500-Meilenrennen von Indianapolis zu gewinnen – und seinem Wagnis, bei der knüppelharten Rallye Dakar in die Wüste zu gehen. Aber, auch das muss man in aller Deutlichkeit sagen: Besonders bei den anderen Rundstreckenrennen – Le Mans, Sportwagen-WM, IMSA-Serie in Nordamerika mit den 24 Stunden von Daytona, Indy 500 – sind fahrerisch um eine ganze Liga unter der Formel 1 angesiedelt. Man sieht das allein schon da dran, dass Grand Prix-Aussteiger nach ihrer Formel 1-Laufbahn in all’ diesen Sparten sofort ganz vorn bei der Musik waren. Diese Klassen sind unterhalb der Formel 1 das Höchste, klar vor GT3, DTM und anderen Tourenwagenserien, etwa der TCR. Aber an die Anforderungen, ein Aerodynamikmonster zu bändigen wie in der Formel 1, kommt ihr Profil nicht heran.
Die Erfolge, die Le Mans-Siege und WM-Titel bei den 1.000 PS-LMP1-Hybridmonstern – für das Comeback in der Formel 1 taugen sie nicht als Bemessungsgrundlage.
Die Rallye Dakar sowieso nicht. Dort sind andere Qualitäten gefragt. Das Fahren in der Wüste ist mit nichts im Motorsport zu vergleichen. Auch nicht mit Rallyes aus der gleichnamigen WM. Ein Schlüssel zum Erfolg bei der Marathonrallye ist das Abwägen der Risikobereitschaft, das Verständnis für Gegebenheiten – und die Gabe, auf die Ansagen des Beifahrers und Navigators zu hören. An Passagen, an denen es auf reine Fahrzeugbeherrschung ankam, war er so schnell wie die Spitze. Doch wenn’s um Material schonendes Fahren ging, waren ihm klassische Dakar-Wüstenfüchse wie Stéphane Peterhansel oder Nasser Al-Attiyah über.
Ähnliche Tendenzen gab es auch, als Sébastien Loeb die Dakar fuhr. Neun Mal war der Elsässer Rallye-Weltmeister. Doch bei der Dakar kam er überhaupt nicht zurande. Nach ein paar Anläufen hat ihn die Lust verlassen. Carlos Sainz ging’s zu Beginn der Wüstenzeit ähnlich. Doch „El Matador“ hat sich eingefuchst und seine Risikobereitschaft zurückgefahren.
Besonders in der Sportwagen-WM und in Le Mans hat man aber auch gesehen: Alonso ist immer noch ein wandelndes Pulverfass. Wer bei den kölschen Japanern hinter die Kulissen schauen durfte, sah: Die fahrerische Klasse von Alonso in den LMP1-Viechern war über jeden Zweifel erhaben – nach einer allerdings durchaus langen Eingewöhnungszeit. Sébastien Buemi etwa hat die TS-Baureihe aus Köln deutlich schneller durchschaut und ausnutzen können als Alonso.
Vor allem hat der Spanier aber immer wieder sein feuriges Temperament durchbrechen lassen. In der Box flogen regelmäßig Trinkflaschen – und böse Worte. Teilweise brauchte Alonso das, um sich für seine Törns innerhalb der Langstreckenrennen regelrecht aufzuputschen. Teilweise übertrieb er es aber auch und hatte sich so wenig unter Kontrolle, dass er sich mit maßgeblichen Figuren aus der Teamleitung anlegte – in der Hitze des Gefechts, aber trotzdem so derbe, dass genau dieses Betragen ihn um eine Weiterbeschäftigung bei Toyota gebracht hat.
Die Chefetage hat ihm mehrfach die Tür einen Spalt breit aufgestoßen, doch Alonso hat die Möglichkeit, sich zu rehabilitieren, nicht erkannt – und ergo auch nicht genutzt. Damit hat er nach Honda schon einen zweiten großen Werkspartner verprellt: Nach seinen Schimpftiraden auf den japanischen Formel 1-Motor im McLaren schworen die Japaner, Alonso auch fürs Indy 500 nie mehr einen Honda-Motor zu geben.
Im Nachhinein stellte sich raus: Der Honda war beileibe nicht das Hauptproblem bei McLaren in Alonsos bislang letzter Formel 1-Saison – vielmehr wies das Auto einen viel zu hohen Luftwiderstand auf.
Alonso bleibt als Fahrer sehr gut – und als Mensch unberechenbar. Und Renault hat sich keinen Gefallen getan, ihn zurückzuholen.
Aber für die Franzosen war das ohnehin eine Verzweiflungstat. Denn das Team tritt seit Jahren auf der Stelle der Erfolglosigkeit, ohne jegliche Steigerungsperspektive. Alonso entzaubert mit diesem Schritt seinen eigenen Mythos. Genau wie Schumacher, Räikkönen und Kubica.