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25.05.2022

Highway to Green Hell: Denk-Modelle


Die Tage vorm 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring sind geprägt von Theoriestunden: Fahrer und Ingenieure lassen die Erkenntnisse der ersten NLS-Läufe und der beiden Qualifikationsrennen Revue passieren – und stellen Hochrechnungen über die Hackordnung vor den Zeittrainings an.

In diesem Jahr sind die Erkenntnisse von einigen neuen Variablen geprägt: Erstmals fahren alle Michelin bereiften Autos exakt die gleiche Reifenspezifikation. Früher gab es für jedes Modell maßgeschneiderte Konstruktionen und Mischungen, jetzt hat der französische Klassenprimus der Nordschleife für Porsche, Audi, BMW und Mercedes-AMG nach dem gleichen Rezept gebacken.

Das nimmt eine Spielmasse aus den taktischen Überlegungen heraus. Weiterhin gleich geblieben ist die Staffelung der Standzeiten an den Boxen. Kein Team soll dadurch einen Vorteil haben, dass man bei weniger Verbrauch länger draußen bleiben kann bis zum nächsten Boxenstopp – oder durch ein forcierteres Tempo zwar Benzin verbrauchen, also früher zum nächsten Tankstopp reinfahren kann, dafür aber auf der Strecke Zeit rausholen kann. Dieses taktische Element ist auf dem Nürburgring seit einiger Zeit schon durch eine Relationstabelle ausgemerzt: Wer einen kürzeres Törn zwischen zwei Stopps fährt, steht per Reglement länger auf seinem Standplatz in der Box. Das engt die strategischen Möglichkeiten arg ein: Acht Runden lange Törns sind die Norm. Auf neun Runden strecken kann man einen Stint nur, wenn es wegen Unfällen lange Code 60-Phasen auf der Strecke gibt, in denen man wie in einer verkehrsberuhigten Zone langsam fahren muss, ergo auch weniger Sprit verbraucht.

Lediglich eine Verkürzung eines Törns auf sieben Runden könnte unter gewissen Umständen Sinn ergeben. Nämlich dann, wenn man Probleme mit dem Reifenverschleiß hat – die Reifen also nicht über acht Runden hinweg halbwegs konstant bleiben, sondern schon nach der fünften Runde so in die Knie gehen, dass die Rundenzeiten zu langsam werden. Dann kann man um eine Runde früher reinkommen. Dafür steht man dann allerdings zirka eineinhalb Minuten länger an der Box als bei einem acht Runden langen Stint. Wenn man seine Strategie auf diese sieben Runden ausrichtet und entsprechend weniger Benzin auch für den nächsten Kurztörn nachfüllt, schleppt man zwar weniger Gewicht mit als wenn man für acht Runden tankt. Damit kann man automatisch schneller fahren. Aber man tankt nicht um so viel weniger, dass man den Standzeitennachteil allein über das Mindergewicht auf der Strecke wieder rausfahren kann.

Lediglich in der Summe aus leichterem Auto und aggressiverer Reifennutzung respektive Vermeiden des Reifen-Drop-offs können sich sieben Runden rechnen. Dann kann man einen Siebenrundentörn auch für den Undercut nutzen – also früher reinkommen, um so über die Distanz Plätze auf die Achtrundenstopper gutzumachen.

Ein Element, das den Reifenverschleiß maßgeblich beeinflusst, ist das Gewicht. Und das wiederum ist eine jener Variablen, um die sich gerade die BoP-Lobbyarbeit hinter den Kulissen dreht. Die Einstufung der verschiedenen Modelle also, die dafür Sorge tragen soll, das alle Fahrzeugbauweisen unter gleichen Verhältnissen ins Rennen gehen: die Porsche mit ihren Heck-Boxer-Saugmotoren, die Audi mit ihren Mittelmotor-Saugern, die BMW mit ihren Frontmittelmotor-Turbos und die Mercedes mit ihren Frontmittelmotor-Saugern.

Beim ersten Lauf der Nürburgring-Langstreckenserie NLS war der Car Collection-Audi R8 rund um Christopher Haase in der Analyse der Zeiten netto das schnellste Auto. Danach mussten alle R8 Gewicht nachladen, fortan waren die BMW M4 GT3 die schnellsten Wagen auf der Nordschleife – denn deren grundsätzliche BoP-Einstufung basiert noch auf den Eckdaten des Vorgängermodells, der M6-Wuchtbrumme.

Fürs 24-Stundenrennen dürfen die R8 – Stand vor den ersten Runden des Marathonwochenendes – 10 Kilogramm wieder ausladen. Damit ist die Hälfte ihres Nachteils nach dem ersten NLS-Lauf wieder egalisiert worden. Die Porsche hingegen hinken noch hinterher. Die 911 brauchen eine Gewichtserleichterung von 15 bis 20 Kilogramm, um aus eigener Kraft vorn reinfahren zu können.

Zumindest die Michelin-Reifen, darunter der favorisierte Grello von Manthey-Racing, der im Vorjahr als Sieger vom Platz ging. Doch nicht alle Elfer fahren die französischen Schlappen. Das italienische Dinamic-Team, in dem Christian Engelhart fährt, tritt auf Pirelli an – auf ganz neu entwickelten Pneus, von denen eine ganze Batterie neuer Reifen vor Ort ist. Die müssen im Training erst noch ausgefiltert werden, um die zur Verwendung geeigneten weichen und mittelharten Mischungen zu finden. Harte Reifen wird man bei den relativ kühlen Temperaturen, die fürs Wochenende vorhergesagt sind, eher nicht brauchen.

Das Falken-Team von Sven Schnabl fährt mit den japanischen Reifen, die dem Rennstall den Namen geben. Doch Schnabl Engineering erlebte einen Horrorfrühling, der den Hessen fast jegliche Vorbereitungszeit raubte: Bei einem Rennen kamen der benötigte Reifentyp nicht rechtzeitig an. Denn die können wegen des Ukrainekriegs nicht mehr direkt per Luftfracht aus Japan eingeflogen werden: Der nötige Umweg der Flugroute sorgt dafür, dass die Reichweite der Frachtmaschinen nicht für eine Direktverbindung reicht. Die Container müssen auf einem Drehkreuz im Nahen Osten umgeladen werden – und strandeten dort für einige Tage zu lange.

Zudem endete einer der beiden türkisen Elfer bei einem Rennen nach einem unverschuldeten Unfall in einem Totalschaden. Schnabl kriegte zwar die letzte noch bei Porsche verfügbare Rohkarosse eines 911 GT3. Doch das half nur bedingt. Denn für den Dienstag nach dem betreffenden Rennen hatte das Team die Nordschleife exklusiv gemietet – konnte dann aber nur mit einem statt mit zwei Wagen testen. Und der fiel dann bei den Probefahrten prompt auch noch einem Unfall zum Opfer. Zwar kein Totalschaden – aber ein frühes Aus des Tests.

Zwei weitere Unfälle haben dafür gesorgt, dass die Mechaniker Nachtschichten einlegen mussten – eine davon, um einen Crashschaden im ersten Qualirennen für den zweiten Qualilauf am Folgetag wieder flottzukriegen. Ein weiterer Unfall beendete ein Rennen vorzeitig – sodass kein Topteam vorm 24h-Wochenende so wenig Runden auf der Nordschleife drehen konnte wie Schnabl Engineering.

Und das, obwohl Falken für 2022 ganz neue Reifentypen gebacken hat – deren genaue Charakteristik man nun erst in den nächsten Tagen richtig eruieren kann.


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