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27.05.2022

Highway to Green Hell: Rekordverdächtig?


Fällt in diesem Jahr der Distanzrekord beim 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring? Alles deutet darauf hin, dass die 50. Jubiläumsausgabe des Marathons ein ganz besonderes Rennen wird. Denn die äußeren Bedingungen sprechen für ein schnelles Rennen ohne so viele Un- und Zwischenfälle wie bei anderen Auflagen – und damit auch dafür, dass so viele Runden und mithin Rennkilometer absolviert werden können wie noch nie.

Dafür spricht schon mal die reine Anzahl der Autos. Die Folgen von Coronakrise und Ukrainekrieg haben das Feld ziemlich gelichtet. Nicht mal mehr 150 Wagen gehen an den Start – bummelig 50 weniger als in den vergangenen Jahren. Das Feld der GT3, die um den Gesamtsieg kämpfen, ist zwar nach wie vor voll, doch in den Klassen darunter hat die angespannte Wirtschafts- und Finanzlage eine ziemliche Schneise geschlagen.

Je weniger Autos die Nordschleife bevölkern, desto mehr entzerrt sich auch das Feld – und desto weniger heikle Situationen drohen, wenn die GT3 die Langsameren überrunden. Zumindest über die Zeit hinweg. Zwar wird es weiterhin Unfälle und Code 60-Zonen geben, aber deutlich weniger als sonst. Damit kann man über die 24 Stunden deutlich öfter frei fahren und mehr Kilometer zurücklegen.

Das Wetter wird ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Rekordjagd spielen. Zwar sind für das Rennen Temperaturen vorhergesagt, die für den Mai in der Eifel außergewöhnlich kühl sind, nachts geht es runter bis auf sechs Grad. Aber Regen oder Nebel wird es heuer nicht geben. Und für die kühle Witterung sind die Teams gewappnet: Für die gesamte Veranstaltung gibt es 29 Satz Reifen, das Rennen besteht aus mindestens 20 Törns zwischen den einzelnen Boxenstopps.

Die Reifen mussten im Vorfeld nominiert werden. Die Teams hatten die Wahl aus drei verschiedenen Mischungen an Trockenreifen: Die harten werden bestenfalls am Sonntagmittag verwendet werden können, sonst ist es für sie zu kühl. Medium und soft sind die gefragtesten Varianten, wobei von Samstagabend bis zirka neun oder zehn Uhr am Sonntagmorgen mit der weichsten Variante gefahren werden dürfte. Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, der hat sich den passenden Vorrat an Medium und weichen Reifen bestellt.

Sollte sich einer bei der Vorbereitung verkalkuliert und zu wenig Exemplare der einen oder anderen Mischung geordert haben, wird im Fahrerlager Plan B greifen: Ausgefallene Markenkollegen werden dann ihren Vorrat an Reifen, die sie nicht mehr brauchen, dem anderen Team aus dem Stall desselben Autoherstellers zur Verfügung stellen.

Eine Variable bei der Reifennutzung fällt dieses Jahr weg: Als die BMW-Teams noch mit dem klobigen M6 fuhren, mussten die oft zu einem anderen Zeitpunkt von der einen auf die andere Mischung wechseln als die Gegner mit ihren Porsche 911, Audi R8, Ferrari 458 und Mercedes AMG. Durch die Einführung des M4 hat sich dieser Offset erledigt. Alle Autos vertragen nun im exakt gleichen Temperaturfenster die gleiche Reifenvariante, die Reifenstrategie wird also erstmals synchronisiert.

Die Pneus, die man fahren muss, um gewinnen zu können, stammen wie meistens von Michelin. Sie sind gegenüber dem Vorjahr nur minimal verändert worden: An der Innenseite der Lauffläche gibt es eine etwas höhere Gummiauflage und damit auch eine rundere Rundung zwischen Karkasse und Flanke. Das soll dafür Sorge tragen, dass die Gummis die aggressiven Sturzwerte über ihre gesamte Laufleistung hinweg besser verkraften können; dadurch soll nicht mehr kurz vorm Reifenwechsel schon die Leinwand durchscheinen, weil sämtliches Gummi von der Auflagefläche weggeraspelt ist. Andere Abstimmungsparameter etwa bei der Kinematik sind deswegen aber nicht nötig.

Jene Teams, die Audi, Mercedes, Porsche und Ferrari einsetzen, können sich also voll auf ihre Erfahrung und ihre Datensätze aus der Vergangenheit stützen. Nur die BMW-Teams müssen sich eh’ neu aufstellen. Denn ihr M4 ist eine komplette Neukonstruktion. Nicht nur der von zwei Turboladern beatmete Reihensechszylinder ist völlig neu – sondern auch die Rohkarosse, alle Karosserieanbauteile, die gesamte Elektrik und Elektronik, sogar die Lenkung. Der M4 ist zwar versatiler und reagiert nachvollziehbarer auf Änderungen an der Abstimmung als sein Vorgänger, ist aber auch deutlich verbauter. Die Mechaniker müssen deutlich mehr arbeiten. Schnelle Wechsel etwa von Schürzen oder Türen nach einer Berührung auf der Strecke sind nicht mal eben so möglich, sondern verlangen nun nach einer großen Operation. Zudem schwebt über der Haltbarkeit über 24 Stunden hinweg ein großes Fragezeichen.

Der M4 hat das Tempo an der Spitze noch mal verschärft. Das Zusammenspiel aus weniger Autos und kühlerer Witterung, bei der speziell nachts mehr Sauerstoff in der Luft steht und die Motoren deswegen spürbar mehr leisten, wird dafür sorgen, dass über die Distanz ein extrem hohes Tempo angeschlagen wird. Zu Beginn droht ein ziemliches Gemetzel, denn nach dem Start und während der ersten Stunden geht es nur um eins: Track Position. Also sich in der Spitzengruppe zu halten, nicht ins Peloton abzufallen und sich mehr als eine Minute Rückstand einzuhandeln – und so auch in der Lage zu sein, sich nicht von Code 60-Passagen vom Führungs-D-Zug abkneifen zu lassen. Das kann in der Anfangsphase zu tumultartigen Szenen führen – das Rennen dürfte in den ersten Stunden den Charakter eines Sprints wie bei Tourenwagen-Kurzstreckenrennen annehmen.

Danach geht es dann über die Distanz hinweg vor allem darum, die Fehlerrate zu minimieren. Keine Berührungen, keine Unfälle, keine Strafen Einhandeln – die 24 Stunden sind in diesem Jahr eher ein Fahrer- als ein Teamwettbewerb, weil die Taktik eine so untergeordnete Rolle spielt. Es droht das schnellste 24-Stundenrennen, das der Nürburgring je gesehen hat – und kilometermäßig auch das längste.

Der bisherige Distanzrekord datiert zurück ins Jahr 2014. Damals legten Markus Winkelhock, Christopher Haase, René Rast und Christian Mamerow in einem Audi R8 159 Runden zurück, was gefahrenen 4.035,102 Kilometern entspricht.


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