14.09.2023
Muss man sich Sorgen machen? Der Formel 1-Wagen von David Coulthard röhrt hochtourig durch den Hatzenbach-Bogen in Richtung der letzten Schikane der Grand Prix-Strecke. Er klingt wie ein brünftiger Hirsch, der sich heillos heiser gebrüllt hat.
Etwa eine Viertelstunde später folgt Sebastian Vettel. In einem anderen Grand Prix-Wagen zwar, aber mit einem ganz ähnlichen Schauspiel. Es klingt abgezwickt.
Mit diesem Geröchel soll die Faszination Formel 1 mit dem Mythos Nordschleife in Einklang gebracht werden. Doch wer sich ein bisschen auskennt, entlarvt das Ganze als Hokuspokus: Er hört auf den ersten Blick, dass die beiden Fahrer – je nach Auto – noch mindestens einen Gang höher hätten schalten können. Und müssen, um das wahre Können ihrer Boliden unter Beweis zu stellen.
Doch sie sind vergattert, hinter einem Audi R8 herzuzuckeln. Über den Grand Prix-Kurs und über die ganze Nordschleife hinweg. Wie ein Containerriese hinter einem Schlepper im Hamburger Hafen. Nur dass das ungleiche Gespann dort die ganze Wucht des Ozeangiganten noch mal so richtig unterstreicht – während die gedrosselten Demofahrten das ganze Schauspiel auf dem Nürburgring ad absurdum führten. Man hätte zeigen können, was ein Formel 1-Auto auch in der Grünen Hlle wirklich für eine Faszination verbreiten kann und was für Helden die Fahrer sind, die solch' ein Monster auch auf der geschichtsträchtigen Rennstrecke noch bändigen können. Stattdessen werden die Piloten entmündigt und in der Wahrnehmung zu Fahranfängern degradiert. Und die Autos bis zur Unkenntlichkeit runtergebremst.
Klar, man muss sich auskennen, um zu hören, dass die Wagen noch mehr Gänge und damit mehr Speed gehabt hätten. Aber: Jene Zuschauer, die bei den Läufen zur Nordschleifen-Langstreckenmeisterschaft NLS rund um die Nordschleife schauen oder durchs Fahrerlager flanieren – die kennen sich aus. Denn die NLS ist quasi eine kleinere Version des 24-Stundenrennens: wie beim Bruchrechnen gekürzt um all' jene Zuschauer, die das Vierundzwanziger nur wegen der tagelangen Dauerparty besuchen. Und dann bleibt halt jener harte Kern übrig, der richtig Ahnung vom Rennsport hat und der in der Eifel das Pendant zu den legendären Fans in England bildet.
Solchen Zuschauern kann man kein X für ein U vormachen.
Die Demofahrten von Vettel und Coulthard waren eingebettet in eine Showveranstaltung von Red Bull, die in der Müllenbachschleife ausgetragen wurde. Mit eigenem Fahrerlager. Es war wie eine Parallelwelt zur NLS, auch wenn eine kleine Schnittmenge überschwappte: Für 59 Euro Eintritt kam man in die Müllenbach – aber auch ins NLS-Fahrerlager, in dessen Pitwalk und auf dessen Tribünen bei Start/Ziel. Also in jene Bereiche, für die man sonst bei der NLS gesondert Eintrittskarten kaufen muss – während bei den Langstreckenrennen der Zugang rund um die Nordschleife an den allermeisten Stellen ja gratis möglich ist.
Bei der Analyse des kombinierten Events aus Formel 1-Demo und 12-Stundenrennen der NLS muss man unterscheiden. Die NLS-Veranstalter haben alles richtig gemacht: Sie haben sich ein extra Zugpferd geholt, das Zuschauer aus der Formel 1-Gemeinde anlockt, die sonst nicht zum Rennen gekommen wären – und von denen man hofft, dass ein Teil von denen auch die Faszination NLS oder zumindest GT3 erkannt hat. Denn um das zu gewährleisten, führte das NLS-Rennen am Sonnabend nach den Formel 1-Demos extra auch durch die Müllenbachschleife – und nicht, wie sonst, über die Kurzanbindung via Querspange über so wenig Grand Prix-Strecke wie möglich.
Wie viele Zuschauer hängengeblieben sind, lässt sich nicht seriös sagen. Klar ist aber: Die Sonderkarten für Müllenbach waren schon im Vorverkauf komplett vergriffen. Obwohl die Veranstalter das wussten, haben sie die Verkehrsführung so organisiert, als ob sie zum ersten Mal eine Großveranstaltung am Ring oben haben – mit einem Riesenstauchaos aus allen Richtungen schon vor acht Uhr morgens, das ohne viel Aufwand hätte entzerrt werden können. Und vermieden.
Interne Quellen besagen: Am Samstag waren mehr Zuschauer vor Ort als früher bei einem Formel 1-Grand Prix in der Eifel an einem Renntag.
Selbst wenn nur ein Prozent der wegen der Formel 1-Show Gekommenen länger geblieben und Interesse für anderen Rennsport entwickelt hat, wäre das für die NLS-Ausrichter schon ein Erfolg.
Zumal man auch eigens dafür eine Veranstaltergesellschaft gegründet hatte, zusammen mit Red Bull und dem Nürburgring. Die NLS-Veranstalter partizipieren also auch direkt an den Ticketverkäufen.
Andersherum sind das Engagement von Red Bull und die Showveranstaltung generell zu bewerten. Die stieß nämlich vor Ort auf bemerkenswert viel Kritik: zu viel Leerlauf, zu wenig Zuschauernähe, zu wenig und zu teure Verpflegung, dazu das Verkehrschaos – das stieß sogar jenen auf, die nur in der Müllenbachschleife waren. Und die Fachkundigen am Ring oben wandten sich enttäuscht ab, als sie die hilflos röhrenden Motoren hörten.
Wahrscheinlich gibt es in einer risikoscheuen Gesellschaft voller Enthaftungserklärungen versicherungs- oder sonstige Gründe für Voraus- und Absicherungsfahrzeuge. Aber das interessiert hier nicht. Denn der Effekt ist verheerend.
Der vielgehypte Demorun folgt einem Trend, der dem deutschen Motorsport momentan nicht guttut: Der Sport wird auf das Maß von Schaulaufen und Entertainment eingedampft. Diese Trivialisierung erlebt man derzeit an vielen Fronten. Auf Schloss Dyck etwa wurden Oldtimer-Ausfahrten als Historischer Motorsport verkauft, obwohl es nur darum ging, der Industrie über ihre Historienabteilungen eine Werbeplattform zu verkaufen. Ein noch relatives junges Eisrennen in Österreich geht denselben Weg: Der VAG-Konzern, der Audi gerade aus allem ernsthaften Motorsport abzieht, lässt seine Marken dort auftreten, ohne dass ein sportlicher Wert dahintersteht. Make-believe Racing, heißt das im Englischen – ein Begriff, der übrigens ebenfalls für den deutschen Motorsport erfunden worden ist: von englischen Kollegen mit Fachkenntnis für die DTM und ITC, als die gerade mit ihrer ersten Internationalisierung gescheitert ist.
Die DTM-Veranstalter haben denselben Fehler zwei Mal gemacht und gerade erst erlebt, wohin Make-believe Racing führt: zu einer Serie mit GT3-Autos, die immer noch Tourenwagen im Namen führt und die keiner mehr ernst nimmt. Als ob man ein Feldhandballturnier als Fußball verkaufen wollte, weil beides auf Rasen stattfindet.
Man könnte glatt gewarnt sein. Aber Make-believe Racing greift immer weiter um sich, von Schloss Dyck nun sogar an den altehrwürdigen Ring. Dabei wird vergessen, was den Motorsport – also den echten – großgemacht hat: Das Wissen darum, dass die Rennfahrer etwas können, das man selbst nicht drauf hat: gewaltige Autos am Limit zu beherrschen; damit Zwei- und Mehrkämpfe zu fahren und, wie man so pathosbeladen sagt, die Grenzen der Physik zu verschieben. Es gehört zwangsweise dazu, dass man als Zuschauer diese Fahrer bewundert, sie als junger Mensch sogar verehrt. Wer seine Fahrer heute noch Helden werden und dabei Charakterdarsteller sein lässt, der macht im Motorsport alles richtig.
Aber der Weg zwischen Clowns und Helden ist ein kurzer. Vettel und Coulthard standen am Ring als etwas da, das sie gar nicht sind – wenn man sie persönlich kennt und einschätzen kann. Dann ist man sicher: Die beiden hätten auch ohne Führungsfahrzeug den Weg um die Nordschleife gefunden – und die Autos dabei schneller, aber immer noch sicher genug bewegt, um keine Totalschäden abzuliefern. Gerhard Berger, Ralf Schumacher und Mathias Lauda seien hier übrigens bewusst ausgeklammert, mit ihren Demofährtchen nebenbei.
Und der komische Aufgalopp von BMW im selben Umfeld sowieso.
Dass und vor allem warum Red Bull es auch anders kann, zeigt ja die aktuelle Formel 1 – und diese große, exklusive Technikanalyse in der gerade neuen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK: https://shop.pitwalk.de/magazin/114/ausgabe-74?c=6 Da lest Ihr zum ersten Mal in aller Ausführlichkeit und in allen Facetten, was das Auto von Max Verstappen in der Formel 1 so gnadenlos überlegen macht – und warum. Und zwar nicht das übliche Oberflächliche aus anderen Medien – sondern eine lange recherchierte Technikgeschichte mit exklusiven Einblicken und jenem Tiefgang, den nur PITWALK bietet.
Die Trivialiserung des Rennsports vom Ring-Wochenende aber nimmt ihm den Reiz, den Mythos und seine Faszination. Und das schadet der Wahrnehmung des Motorsports in Deutschlands. Als ob der es nicht ohnehin schon schwer genug hätte.
Dass ausgerechnet Red Bull auf den Zug aufspringt, den Motorsport zu einer Belanglosigkeit mit Kirmescharakter zu degradieren, hat denn aber noch mal eine andere Qualität. Denn die Österreicher waren bislang stets echte Racer.
Das allerdings, weil Firmenchef Didi Mateschitz auch Motorsportfan war. Es gilt als offenes Geheimnis, dass längst nicht auf jedem Rennwagen, auf dem Red Bull draufstand, auch tatsächlich Marketingelder der Limofirma verfahren wurden. In kleineren Projekten waren es oft auch Überweisungen aus dem Privatvermögen von Mateschitz.
Diese Zeiten sind seit dem Tod des Moguls vorbei. Die Getränkefirma wird nun wie ein Konzern gemanagt, BWL-Kennzahlen inklusive. Mit Veranstaltungen wie jenen am Ring müssen Gewinne erwirtschaftet werden. Aus Marketingaktionen werden nun in Teilen Profit Centres. Nur Leuchttürme bleiben angeschaltet, um Werbebotschaften auszustrahlen.
Das erklärt die Enttäuschung der zahlenden Kundschaft vom Ring. Und es macht Sorge für die Zukunft des Motorsports auch auf anderer Ebene: Wenn es das Mäzenatentum der Vergangenheit nicht mehr gibt – wie vielen Teams, Fahrern und Disziplinen geht dann irgendwann das Licht aus, weil der Strom nicht mehr aus Österreich bezahlt wird? Und wie hoch türmt sich dieser Lawineneffekt auf? Nur in Nachwuchsklassen? In den Tourenwagenbereich? In den Motorradbreiten- oder sogar Spitzensport? Wo endet da die Kettenreaktion? Bei der Dakar, in der MotoGP? Oder gar bis rauf zur Rallye-WM, die von Red Bull veranstaltet wird?
Ein Fußballer hat mal zu Unrecht gesagt, Geld schieße keine Tore. Aber im Motorsport gilt: Money makes the wheels go round.
Man muss hoffen, dass die Red Bull-Formel 1-Demoveranstaltung nur ein einmaliger Fehler war. Und Fehler kann man ja verzeihen.