29.08.2024
Der Anruf endet in einem murmelnden Ächzen. Christopher Mies, einer der besten deutschen GT3-Sportwagenpiloten überhaupt und momentan bei Ford in einem der Mustang für die nordamerikanische IMSA-Serie zugange, ruft ausgerechnet mitten in jenem Stau an, den Klimaaktivisten am Mittwoch von der A27 auf die A1 bei Bremen haben überschwappen lassen. Er selbst sei auch gerade im Auto und auf dem Wege nach Monza, wo er am Wochenende Renntaxifahrten für Ford-Ehrengäste im Rahmenprogramm vorm Formel 1-Grand Prix fahren würde.
Da bietet sich der kernige und am eigenen Steuer gerade auch leicht schadenfreudige Abschied vorm Auflegen an: „Gute Reise – und viel Spaß im Verkehrschaos.“ Denn Monza, die Rennstrecke in der Kleinstadt in der Lombardei vor den Toren von Mailand, ist berüchtigt für dauerverstopfte Zufahrtsstraßen. Wenn man nicht vor halb 7 morgens auf dem Parkplatz ist und den vor 20 Uhr wieder verlässt – der stellt sich unweigerlich irgendwo an. Selbst wenn man hinten, über die Ausläufer der alten, geschichtsträchtigen Steilkurve, über einen der unbekannteren Schleichwege rausfährt vom Gelände – irgendwann kommt man ein Nadelöhr, das einen nervt.
Mies jedenfalls kutschiert seine VIPs im Highperformance-Mustang durch den norditalienischen Mischwald. Denn obwohl Ford noch keine Motoren liefert, ist die amerikanische Marke doch schon hinter den Kulissen in der Formel 1 präsent, ihre Vertreter reden auch schon in jenen Ausschüssen mit, in denen auf verschiedener Ebene die Zukunft der Königsklasse diskutiert wird. Denn Ford wird in der nächsten Formel 1-Ära das Red Bull-Team mit Motoren ausrüsten.
Die Frage ist nur: Wer ist dann Starfahrer bei den Bullen? Denn Max Verstappens Vater und Berater Jos geht inzwischen dermaßen die Geduld aus, dass man fast schon Wetten abschließen kann: Verstappen wird dieses Jahr Weltmeister, mit Hängen und Würgen vor Lando Norris, verliert 2025 den Titel – und erliegt dann für 2026 dem penetranten Dauerwerben von Mercedes. Dort fuhr zwar der junge Kimi Andrea Antonelli am Freitag seine ersten offiziellen Runden in einem Formel 1, doch der wird dann 2026, nach nur einem Jahr als Stammfahrer, gleich wieder rauskomplimentiert – zugunsten von Max Verstappen als neuem Aushängeschild für Mercedes.
Die Dramaturgie der aktuellen Saison ist hochinteressant. Red Bull agiert immer noch so, als sei man der Platzhirsch. Doch tatsächlich hat inzwischen nicht mehr der Limokonzern, sondern McLaren das bessere Auto. Nicht unbedingt immer das schnellste – aber das vielseitigste. Und darauf kommt es an.
Red Bull hat jahrelang dominiert, weil das Auto auf maximale aerodynamische Effizienz getrimmt war – ohne dabei allerdings schon das Maximale an reinem Abtrieb rausgeholt zu haben. Jetzt arbeiten die Techniker einfach immer so weiter, wie sie das immer gemacht haben: Sie ballern einfach immer mehr Teile ans Auto, die den Downforce weiter maximieren, weil sie wissen, dass das bei ihrem Konzept relativ wenig zulasten der Topspeeds geht. Doch die aktuelle Groundeffect-Generation stößt irgendwann an die Grenzen dessen, was ihre Aufhängungen noch an Abtrieb verarbeiten können, ohne dass gleichzeitig ihre aerodynamische Plattform auch bei dynamischen Achslastverschiebungen auf der Bremse oder beim Gasgeben instabil wird.
Das Ergebnis sind Verzweiflungstaten wie jene in Zandvoort, als Verstappen nach den ersten Trainings mit einem Unterboden von Bahrein – also dem Saisonbeginn – wieder ausrücken musste. Und prompt mit einem mörderischen Untersteuern zu kämpfen hatte.
In Monza geht’s jetzt genau so weiter: Die Heckflügel, die Red Bull im Königlichen Park als Monza-Special mit Low Downforce-Konfiguration brachte, weisen zwar spektakuläre Dellen im oberen Element auf, die den Luftwiderstand senken. Aber sie sind dennoch deutlich klobiger – und damit sperriger im Wind – als jene der Verfolger von McLaren.
Nun staunen scheinbar alle, wie schnell der Vorsprung von Red Bull auf McLaren geschmolzen sei: angeblich binnen eines halben Jahres. Alles die Schuld von Horny-Horner-Gate und dem Abgang von Adrian Newey? Quatsch. In Wahrheit hat McLaren seit mehr als drei Jahren an einer Aufholjagd auf die Bullen gearbeitet, und seit etwa eineinhalb Jahren hat jedes Upgrade der Briten gesessen. So lange hat es gedauert, bis in Woking sowohl der Windkanal als auch die Hochleistungsrechner für Computersimulationen aktualisiert, kalibriert und mit der Wirklichkeit auf den Test- und Rennstrecken in Einklang gebracht worden sind. Solche Zeitspannen muss man einkalkulieren, so lang sind nun mal die Vorläufe in der Formel 1, wenn man im Hintertreffen ist.
Eingeleitet hat diese Wende, die jetzt in der WM-Anwartschaft mündet, vom Passauer Andreas Seidl – also genau von jenem Mann, den Audi gerade als Teamchef für seinen Formel 1-Einstieg 2026 in die Wüste geschickt hat. Da kann sich nun auch jeder seinen Reim drauf machen.
Genau wie auf die Entscheidungen gegen Mick Schumacher: Alpine wollte ihn für 2025 nicht, sondern lieber Jack Doohan, Sohn eines mehrfachen Motorradweltmeisters aus Australien. Und Williams wollte ihn als Ersatz für den Bruchpiloten Logan Sargeant auch nicht, sondern stattdessen Franco Colapinto aus dem eigenen Nachwuchsprogramm als Lückenfüller. Dahinter stecken zwei Nachrichten: Die Aktie von Mick Schumacher in der Formel 1 ist auf dem Boden des Fasses angekommen. Man hält ihn für zu langsam, zu wenig lernfähig, zu wenig (selbst-)kritikfähig im Umgang mit Unfällen und eigenen Fehlern. Das spricht gegen eine sportlich begründete Verpflichtung. Und er bringt weder Charisma mit, mit dem man Werbepartner begeistern könnte – noch eine eigene Mitgift, die ihm Türen öffnen würde. Also möchte ihn auch wirtschaftlich keiner.
Colapinto, ein Noname, hat den Vorteil, dass er einen neuen „Globalen Partner“ aus dem Bereich der KI-Branche als Förderer im Rücken hat. Die Firma, an der New Yorker Börse gelistet aber aus Argentinien stammend, hat gleich am Donnerstag nach der Verpflichtung des Argentiniers bei Williams angedockt.