31.03.2023
Viel mehr Lokalmatador geht nicht. Oscar Piastri, der neue McLaren-Pilot, ist gut 10 Minuten vom Albert Park aufgewachsen – jener nicht-permanenten Rennstrecke in einem Stadtpark in Melbourne, in der am Wochenende der dritte Formel 1-WM-Lauf stattfindet.
Als Piastri groß wurde, hatte der Park seine Frischzellenkur schon hinter sich. Bis in die Siebziger war er noch für seine Drogenszene berüchtigt, man stolperte an allen Ecken über gebrauchte Spritzen und Löffel. Doch die melburnischen Stadtväter, nicht zimperlich wie alle Australier, haben den Exzessen schnell den Garaus gemacht und den Albert Park zu einem stimmungsvollen Naherholungsgebiet für die Städter umgewidmet.
Piastri kam 2001 zur Welt. Da fuhr Fernando Alonso gerade seinen ersten Grand Prix – beim Debüt im Albert Park, seinerzeit noch in einem Minardi. Heute gilt Alonso als die Offenbarung des Jahres – und Piastri wird in Sachen Talent so hochgehandelt wie der Iberer seinerzeit.
Den Vorschusslorbeeren gerecht zu werden, ist für junge Fahrer nie einfach. Denn sie treten meist in unterlegenen Autos an. Der Minardi von Alonso war so etwas wie der VfL Bochum im Fußball – eine graue Maus, immer irgendwie da, aber nie richtig gut. Und doch hat das Team aus Faenza, aus dem später das heutige Alpha Tauri hervorgehen sollte, es immer wieder geschafft, junge Talente zu formen, denen später Großes gelingen sollte.
Derzeit ist McLaren, das einst so stolze Traditionsteam, in einer ähnlichen Rolle wie Minardi: Man traut den Engländer nichts zu, weil sie sich bei der Weiterentwicklung zu einem modernen Rennkonzern verstrickt haben und seit Jahren daran zahnen, sich wieder aufs Kerngeschäft zu besinnen: gute Rennwagen zu bauen. Es hapert immer noch an einem verlässlichen Windkanal und einem Rennsimulator, der so gut ist wie jene der meisten Konkurrenten. Deswegen hinkt McLaren dem Mittelfeld schon seit den ersten Testfahrten hinterdrein: Die Aerodynamik passt nicht, das Auto ist zudem nicht mal standfest.
Und in diesem Umfeld soll sich der Einheimische nun als das Toptalent der jüngsten Zeit beweisen?
Er ist gerade auf dem besten Wege dazu, genau das zu tun. Denn er ist in den Qualifyings, bei den schnellen Runden ohne taktische Erwägungen im Hintergrund, auf Augenhöhe mit Lando Norris unterwegs – seinem Teamkollegen, der immerhin Daniel Ricciardo im teaminternen Duell so sehr entzaubert hat, dass McLaren den immer strahlenden Australier vor die Tür gesetzt hat.
Jetzt muss man um die Ecke denken: Ricciardo hat bei Red Bull als damals neuer Teamkollege Sebastian Vettel dessen Grenzen aufgezeigt. Wenn nun Piastri bei seinen allerersten Rennen im McLaren vergleichbar schnell ist wie jener Mann, der Ricciardo versägt hat – dann zeigt das, welch’ Talent da aus Melbourne die Formel 1-Bühne betreten hat.
Zumal nicht nur der direkte Vergleich mit dem Teamkollegen aussagekräftig ist – sondern auch die geringe Zeit, die Piastri brauchte, um auf diesen Speed zu kommen. Junge Rennfahrer, die sich wirklich von der breiten Masse der Vorderen-Mittelfeldler abheben, schaffen es immer, einen Einstand mit Karacho hinzulegen: Ayrton Senna, Michael Schumacher, Alonso, Lewis Hamilton, Max Verstappen – sie alle haben bereits bei ihren ersten Tests und Trainings mit Topergebnissen auf sich aufmerksam gemacht, sodass die Fachwelt wusste: „Da kommt wieder einer.“
Andere, Damon Hill etwa, haben sich den Weg an die Spitze mit mehr Vorlauf erarbeiten müssen. Sie haben quasi in der Formel 1 geübt – und waren nur dann top, wenn sie auch technisch das beste Material hatten. So ist Hill mit Williams Weltmeister geworden, als er das quasi nicht verhindern konnte. Auch Jacques Villeneuve, der gerade in der Sportwagen-WM ein ernüchterndes Comeback hinlegt, hat im Weltmeisterjahr und -duell gegen Michael Schumacher überproportional von den Vorzügen seines Williams profitiert.
Sohn Mick Schumacher zählt, das zeigt der Einstand von Piastri gerade besonders plakativ, offenbar auch in diese Kategorie: Wenn alles passt und er genug Erfahrung hat, dann kann Schumi jr. ganz vorn reinfahren. Aber er braucht dazu stets viel Anlauf, meist ein Jahr Vorlauf, ehe dann in der zweiten Saison der Knoten platzt. So war es in den Nachwuchsformeln; in der Formel 1 hat’s nicht mal im zweiten Jahr schon gereicht, darum ist er nun ja auch kein Rennfahrer mehr, sondern dreht quasi eine Ehrenrunde nach nicht erfolgter Versetzung.
Piastri ist das Gegenteil: Bei ihm ist der Knoten immer sofort aufgegangen. Deswegen darf man sicher sein: Der wird sich in die Ahnengalerie großer australischer Rennfahrer wie Jack Brabham oder Alan Jones einreihen – und mehr reißen als sein Manager Mark Webber. Und er wird sich auch von der Durststrecke magerer Resultate, die sein unterlegener McLaren ihm aufzwängt, nicht verunsichern lassen. Sondern seinen Weg machen, unbeirrt davon, dass die Ergebnisse, die er gewohnt war, auf absehbare Zeit ausbleiben. Er wird aus dieser Talsohle noch stärker hervorgehen.
Die australischen Fans wissen das schon heute zu schätzen: Der Albert Park ist vollständig ausverkauft.