06.10.2022
Es sagt schon einiges, wenn Honda dermaßen offensiv die eigene Geschichte bemüht. In der Woche vorm Heim-Grand Prix in Suzuka – auf einer Bahn, die Honda gehört – nahm Max Verstappen Platz in einem Auto, das wie ein Stammbaum ist. Sein Vater Jos hat zur Jahrtausendwende jede Menge Testkilometer im RA099 abgespult.
Das jungfernweiße Auto steht heute in der Honda Collection Hall, dem offiziellen Museum der Japaner. Seine Formensprache wirkt klobig, auch der Dreiliter-V10-Motor namens MF301HD hat mit der heutigen Formel 1 keine Berührungspunkte mehr.
Aber damals, Ende 1999, galt das 605 Kilogramm leichte Auto als ein möglicher Klassenprimus für die nächste Saison. Honda wollte damit eigentlich werksseitig in die Königsklasse zurückkehren, doch das Projekt wurde kurzfristig abgeblasen – nachdem Jos Verstappen den Wagen eigentlich für gut befunden hatte.
Offizieller Grund: ein Herzinfarkt von Konstrukteur Harvey Postlethwaite bei Testfahrten im April 1999 in Barcelona, den der gutmütige und humorvolle, aber auch leicht verschrobene Engländer nicht überlebte. Honda zog sich aus Kondolenzgründen zurück, hieß es.
Tatsächlich tobte damals eine Intrige im Dallas-Stil: Auf Geheiß des Managers von Exweltmeister Jacques Villeneuve hatte eine Tabakfirma – Zigarettenwerbung war noch statthaft – das Traditionsteam Tyrrell gekauft und einen Motorlieferantenvertrag mit Honda abgeschlossen. British American Racing, BAR, wie das neue Team heißen sollte, wollte aber Werksstatus – und musste dafür in der japanischen Konzernchefetage die geplante Formel 1-Abteilung rund um den RA099 ausstechen.
Das gelang, die Bosse ließen sich von der Aussicht auf geringere Kosten locken: BAR konnte preiswerter Formel 1 machen als das eigene vollwertige Werksteam, und weniger Geld auszugeben, kommt bei Chefs immer gut an. Deswegen machte BAR das Rennen um die Honda-Unterstützung – obwohl die ersten paar Wagen von BAR schlicht nicht konkurrenzfähig waren.
Besonders brisant dabei: Postlethwaite war vor seinem Einsatz bei Honda als Technikchef bei Tyrrell engagiert gewesen.
Die Geschichte von Honda in der Formel 1 steckt voller solcher Missverständnisse. Wahrscheinlich sind sie auf die grundlegenden Unterschiede in der Mentalitäten von Japanern zu Europäern, vor allem Engländern, zurückzuführen. Als Honda Mitte der Achtziger die besten Turbomotoren baute, konnte Nigel Mansell – auf dem Bild oben mit dem heutigen Williams-Teamchef Jost Capito – trotz Überlegenheit im Williams nicht Weltmeister werden, weil das Team sich in einem internen Zweikampf aufrieb. Honda ließ sich von Williams weglotsen zu Lotus, das schlechtere Autos baute – aber Satoru Nakajima als Fahrer fürs zweite Auto akzeptierte. Frank Williams hätte diese Kröte nie geschluckt, sich nie freiwillig in seinem Fahreraufgebot schwächen lassen, um den nationalstolzen Interessen von Honda nachzukommen.
Noch heute sind die legendären Konferenzen zwischen Williams und Honda legendär: Die Japaner verstanden meist kaum Englisch, die Runden redeten aneinander vorbei und erzielten stundenlang kaum Fortschritte – aber der Sage floss in Strömen, sodass die Konferenzen irgendwann gar sehr zünftig ausfielen. Das erheiterte die englische Seite, ließ sie aber gleichzeitig frustriert zurück – weil die Briten wussten: Sie hätten viel mehr aus der Kooperation rausholen können.
Später, als Partner von McLaren, baute Honda den besten Motor und McLaren das beste Auto, es setzte eine eindrucksvolle Bilanz. Dann folgte das Missverständnis BAR, das im erneuten Rückzug und der Privatisierung des Teams in den Händen von Ross Brawn und Nick Fry führte. Das Ergebnis ist bekannt: das Sommermärchen 2009, in dem BrawnGP mit Jensen Button Weltmeister wurde.
In all' den Jahren gab es von Honda eine Konstante: Motoren unter dem Label Suzuka Special. Für die Heimbahn gaben die Asiaten stets eine Ausbaustufe frei, die deutlich mehr Leistung aufwies als die Aggregate für den Rest der Saison. Sie waren immer so konstruiert, dass sie genau ein Rennwochenende lang hielten. Früher, als noch Motorwechsel erlaubt waren, gern auch mal nur ein Qualifying lang. Aber die Leistungssteigerung für den Heim-Grand Prix ging den Japanern über alles. Nur ausfallen durfte so ein Suzuka Special auf keinen Fall, sonst hätte das für den verantwortlichen Ingenieur das jähe Ende seiner Aufstiegsschancen innerhalb der Honda-Firmengruppe bedeutet.
Jetzt knüpft Max Verstappen doch noch an die Historie an, die sein Vater Jos mit dem verunglückten Werksboliden nicht legen konnte. Er macht Honda erneut zum Weltmeister. Und die Japaner sind wieder aufgewacht. Erst zu Beginn dieses Wirtschaftsjahres gab es aus Tokio die Maxime: Bloß nichts mit Motorsport. Nicht mal Tourenwagenrennen mit den Civic Type-R durften für die Märkte aktiviert werden, Honda Deutschland musste sich sogar vom 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring zurückziehen.
Jetzt hat Honda vorm Heimrennen verkündet: Die Kooperation mit Red Bull und Schwester Alpha Tauri, die eigentlich schon am Ausphasen ist, soll nun wieder intensiviert werden. Die Japaner springen auf jenen Zug auf, den Porsche nicht entern konnte: Sie werden die Infrastruktur von Red Bull Powertrain in Milton Keynes nutzen, um Motoren nach der neuen Generation ab 2026 zu stellen.
Auch wieder so eine Geschichte: Honda hat Red Bull exakt diese Motorfabrik in England gerade erst zu einem Spottpreis abgegeben. Nun müssen die Japaner eine Rolle rückwärts machen, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Das ist gerade für diese besondere Spezies Asiaten unheimlich wichtig. Der gescheiterte Porsche-Einstieg hat ihnen die Tür dazu ermöglicht, diesen Spagat ohne große Mühen hinzukriegen: Andere sehen noch unglücklicher aus als sie.