18.11.2022
Sportswashing ist das Schimpfwort der Stunde – das Ausnutzen des Sports, um Mängel im eigenen Land, im eigenen System zu kaschieren und sich über das positive Image von Sport in einem besseren Licht zu zeigen als verdient. Die Fußball-WM in Katar steht da gerade im Mittelpunkt der Kritik, aber auch der Motorsport ist nicht frei von Zweifelhaftigkeit. Vor allem die Formel 1.
An diesem Wochenende findet das Finale in Abu Dhabi statt. Einem arabischen Emirat, das Ölmillionen in die Ausrichtung von Renn- und Rallyeveranstaltungen pumpt, um sich ein gutes Image zu verschaffen. Dabei ist der Ruf von Abu Dhabi gar nicht so übel wie jener von etwa Saudi-Arabien oder Bahrein, in denen die Formel 1 und andere Rennserien ebenfalls zu Gast sind.
Vor allem die Saudi lassen sich nicht lumpen: Rallye Dakar, Formel 1, MotoGP. Extreme E, Formel E, Tourenwagen-Weltpokal – sie lassen alles antreten, was für Geld empfänglich ist und die jeweilige Spitzenklasse ihres Genres darstellt. Manch’ einer rümpft die Nase darüber, dass die Championate in das wahabitische Scheichtum kommen, ohne auch nur ein Wort der Kritik zu wagen. Also quasi genauso wie aktuell rund um die Fußball-WM in Katar – wo es übrigens auch eine Rennstrecke gibt, in Losail, die MotoGP ist dort schon lange Stammgast, auch die Formel 1 kommt 2023 wieder.
Man muss schon mal in diesen Ländern gewesen zu sein, um zu verstehen, wie’s da wirklich zugeht. Jedes arabische Land ist anders. Katar ist konservativ, aber in seiner Auslegung des Islam nicht so streng wie Saudi-Arabien. Und die Saudi wiederum nutzen Bahrein als eine Reeperbahn für ihr Land: Eine Riesenbrücke führt vom Festland auf die Insel im Persischen Golf – und in eine andere Welt. In Bahrein darf man Alkohol trinken, auch andere Verlockungen, die man vom Hamburger Kiez kennt, sind dort lange üblich gewesen. Beides haben die Saudi-Wochenendurlauber gern angenommen. Offenbar fürchteten sie nicht, auch auf der Nachbarinsel beobachtet zu werden.
Die Damenkomponente haben die Herrscher von Bahrein seit Corona trockengelegt, aber eine trockene Insel ist das Eiland dennoch nicht.
Bahrein steht als Musterbeispiel dafür, wie Sportswashing funktioniert. Aber auch, wie das Leben dort funktioniert. Man kann, versichern Einheimische, von umgerechnet 300 Euro pro Monat leben. Denn es gibt keine Kosten für die staatliche Krankenversicherung, kaum Steuern, Benzin ist – weil aus Öl von vor Ort gewonnen – enorm günstig, ein Mal volltanken für 15 Euro. Dafür ist es sommertags aber auch über 40 Grad heiß, was sich wegen hohen Luftfeuchtigkeit anfühle wie 55 Grad. Puh.
Bis die Formel 1 kam, war Bahrein als Land international bekannt. Durch den Grand Prix hat man den Inselstaat auf die Landkarte gehoben. Und man hat gleichzeitig dafür gesorgt, dass sich eine eigene Motorsportkultur etabliert. Dragster sind zwar beliebter als Rundstreckenrennen. Aber die Bahreini sind durch die Formel 1 auf die kontrollierte Raserei gekommen.
Autonarren sind sie im Nahen Osten ohnehin alle. Die Dichte von Luxusschlitten ist höher als überall sonst auf der Welt. Deswegen ist der Import von Motorsport in die Region nicht nur Sportswashing – anders als bei Fußball oder, noch ärger, Handball in Katar. Die Saudi haben sich sogar extra die Dienste von Martin Whitaker als Chef des Wirtschaftliches Geschäftsbetriebs ihres Motorsportverbands gesicher. Der Engländer war früher Ford-Sportchef, dann Kommunikationsdirektor beim Weltverband FIA. Seine Aufgabe in Saudi-Arabien: Aufbau einer eigenen wirtschaftlichen Infrastruktur für Rennsport und Rallye in der Region. Grob gesagt, soll er ein Pendant zum „Motorsports Valley“ rund um Silverstone in England hochziehen: eine Region, in der sich Teams, Zulieferer, Tuner und andere Motorsportfirmen ansiedeln und die dann massig Arbeitsplätze generiert. Saudi-Arabien möchte sich so zum Zentrum des Motorsports im ganzen Nahen Osten machen.
Andernorts, etwa in Abu Dhabi, ist das Interesse versprengt. Einzelne Zweige der Herrscherfamilie fahren Marathonrallye oder Rundstrecke. Der Österreicher Walter Lechner hat das Potenzial als erster erkannt und einen Markenpokal mit Porsche 911 GT3 Cup aufgezogen. Seine beiden Söhne Robert und Walter jr. führen diese Porsche GT3 Challenge Nahost inzwischen weiter, der Vater ist verstorben. Er hat aber noch Abdualsiz Al-Faisal in den Porsche-Supercup und in den GT3-Sport gehoben – und der ist heute Sportminister im Scheichtum Saudi-Arabien und maßgeblich treibende Kraft hinter den Expansionsplänen zum „Motorsport Hub“ für den Nahen Osten.
In Abu Dhabi ist die Formel 1 ein Spektakel für ein Wochenende. Es gibt eine Formel 4, die junge Rennfahrer heranzüchten soll. Doch es dauert mindestens noch eine Generation, bis einer von denen Formel 1-tauglich sein kann. Trotzdem sieht man bei jedem Besuch Dubai, wo’s auch eine Rennstrecke gibt, Bahrein, Saudi oder Abu Dhabi, wie sich aus dem Fremdkörper langsam eine Motorsportkultur entwickelt.
Das ist die zweite Seite des Sportswashing.