28.06.2024
Statistiken taugen erst dann was, wenn man sie auch lesen kann. In der Formel 1, ja generell im Motorsport, wird man gern mal überschüttet mit Zahlen und Grafiken. Die meisten davon sind wertlos.
Was nützt es etwa, wenn die Veranstalter der 24 Stunden von Le Mans einem stolz vorrechnen, wie viele mehrere hundert Überholmanöver es in ihrem Rennen gegeben habe – wo doch die meisten davon in Wahrheit Überrundungen sind? Wenn ein bauartbedingt schnellerer Prototyp einen langsameren GT3 überholt, ist das keine erwähnenswerte Leistung; kein Zweikampf, in dem ein Fahrer den anderen niedergerungen hat – sondern ein alltägliches Manöver wie das Aufschrauben einer Getränkeflasche. Das als statistisch erwähnenswert hinzustellen, weil es zeigt, wie viel Action die eigene Rennserie bietet, ist nicht nur Nasführung, sondern grenzt schon an bewusste aktive Verblödung von Medienschaffenden und Zuschauern.
Oder diese ganzen Ewigen Bestenlisten, die gerade im Speedway akut sind. Bartosz Zmarzlik hat Jason Crump als erfolgreichster Fahrer, also derjenige mit den meisten Grand Prix-Siegen, abgelöst. Na und? Selbst wenn man den Quotienten zieht und guckt, wie viele Anläufe Crump und viele der Pole – deutlich weniger – für seine insgesamt erzielte Grand Prix-Siege benötigt hat, sagt das nichts aus. War das Feld zu Crumpys Zeiten härter umkämpft und enger beisammen? Hat Zmarzlik gerade einen technischen Vorteil über seinen Motortuner? All’ solche Variable verwässern jede Statistik, die über mehrere Epochen hinweg Vergleiche ziehen soll.
Darum wird auch kein Zahlenwerk je Aufschluss darüber geben können, wer der beste Formel 1-Fahrer aller bisherigen Zeiten ist. Es gibt viel zu viele Variablen, die sowohl die Anzahl der Siege als auch der gesammelten WM-Punkte in unnützes Wissen verändert: Früher wurden mal für die ersten Sechs eines jeden Grands Prix WM-Punkte ausgeschüttet, dafür kriegte der Sieger aber auch nur neun. Und es gab lange Zeit nur 16 WM-Läufe pro Jahr, während heute bald auch noch unter der Woche Große Preise stattfinden, wenn die Veranstalter so weitermachen wie in den Jahren nach Corona.
Eine Auswertung allerdings lässt aufhorchen, nachdem sie gerade im Vorfeld des Österreich-Rennens veröffentlicht wurde: die Anzahl der Upgrades, also technischen Weiterentwicklungen, die jedes einzelne Team bislang im Verlauf der Saison 2024 an ihre Autos geschraubt und gedengelt hat. Aston Martin führt die Liste mit 21 Neuerungen an, dann folgt Ferrari mit 15, die Racing Bulls – also das B-Team der Limofirma – mit 14, McLaren mit 11 sowie Mercedes und Red Bull mit je 10. Alle weiteren Rennställe fallen eh’ in die Kategorie „Not gegen Elend“, also lassen wir die hier mal außer Acht. Da hätte eigentlich auch Racing Bulls dazugehört, aber deren Fleiß macht sie denn doch erwähnenswert.
Die Zahlen enthüllen: auch mit viel Fleiß nicht unbedingt Preis. Die Racing Bulls kommen so zäh voran wie in einem Kneipp-Becken. Und Aston Martin, die Wonderboys der ersten Saisonhälfte 2023, haben sich völlig verheddert. Trotz der ganzen Neuerungen fallen die Grünen um Megastar Fernando Alonso immer weiter hinter die eigentliche Spitzengruppe zurück.
Auch Ferrari steht schlecht da. Trotz des Monaco-Sieges. Nach der Pleite von Kanada haben die Italiener ihr jüngstes Upgrade kurzerhand um mehrere Wochen vorgezogen. Denn sie wollten den Nutzen, den die neue Kombination aus mehr Abtrieb bei weniger Luftwiderstand bringt, über den kompletten „Triple Header“ nutzen können – also die drei direkt aufeinander folgenden Rennwochenenden in Granollers bei Barcelona, Spielberg und Silverstone. Dumm nur, dass das hektische Vorziehen einen unangenehmen Nebeneffekt hatte: In Katalonien trat plötzlich wieder jenes Hoppeln oder auch Pulsieren des Autos auf den Geraden auf, das eigentlich schon ausgemerzt schien.
Ungeduld tut bei Upgradepaketen selten gut. Denn jedes Team legt sich schon bei der Konzeptionierung und Kiellegung jedes neuen Autos einen genauen, monatelang im Vorfeld errechneten Fahrplan für die Updates fest: Wie lange muss man an der Form der Karosserieanbauten und deren Auswirkung auf den Rest des Autos in Computern und Windkanälen forschen? Wie lange braucht man, um die mechanische Abstimmung von Aufhängungen und Rollzentren daran anzupassen? Wie lange dauert es dann noch, bis die Teile in ausreichender Zahl gefertigt werden können?
Ferrari hat den Mittelschritt beschleunigt, zu viel Augenmerk auf die Aerodynamik und zu wenig auf das Ineinandergreifen mit der Mechanik gelegt, weil sie eingedenk der Arbeit vor allem von Mercedes die Nerven verloren haben. Die Engländer unter schwäbischem Mantel haben eine Reihe von Neuerungen gezündet, die aus der Fehlkonstruktion einen Anwärter auf die Top 4 de Teamwertung gemacht haben. Das hat Ferrari kalt erwischt und zu jenem Vorziehen des eigenen Pakets verleitet, das ihnen nun doppelt auf die Füße fällt.
Das Auto funktioniert plötzlich nicht mehr in allen Fahrsituationen, sondern nur noch in wenigen. Und Carlos Sainz hat die Geduld verloren. Obschon ausgemustert, hat er sich bis Spanien als treuer Söldner in den Dienst des Teams gestellt. Jetzt nicht mehr. Denn er kam bei seinem Heimrennen mit dem verhunzten Auto besser klar als Charles Leclerc, doch der wollte das nicht einsehen und beschwerte sich hinterher über Manöver von „Carlito“. Dem ist das ab sofort wurscht. Warum soll er noch einem Team helfen, das ihn absägt – und ihm nicht mal mehr Unterstützung angedeihen lässt, wenn er sie akut verdient hätte?
So kann man denn noch eine aussagekräftige Statistik schaffen: Kein Team hat 2024 mit einem einzigen Upgrade mehr Porzellan zerschlagen als Ferrari.