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25.10.2023

Tage des Grauens


Die Stimmung wird düster sein. Vielleicht sogar feindselig. Und das nicht nur, weil in Mexiko dieser Tage der ominöse Totentag gefeiert wird – bei der den Verstorbenen auf gruselig-galgenhumorige Art und Weise gedacht wird, quasi in einer Mischung aus unserem biederen Totensonntag und dem US-amerikanischen Halloween.

Die dustere Laune wird sich ins Baseballstadion und an die Rennstrecke des nächsten Grands Prix fortsetzen. Dafür werden die mexikanischen Fans schon sorgen. Denn sie möchten Max Verstappen einen Geisterbahnempfang bereiten, um ihr eigenes Idol Sergio Pérez nach vorn zu peitschen.

Der Mittelamerikaner ist in der vergangenen Saison weit hinter seinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Und vor allem hinter jenen seines Vaters Antonio Pérez Garibay. Denn der ist die treibende Kraft hinter der Karriere seines Sohnes – und hinter der Begeisterung der einheimischen Fans für ihren Lokalhelden.

Es ist schon ein paar Jahre her, da hat der damalige Mercedes-Rennleiter Norbert Haug mir im Formel 1-Fahrerlager gesagt: „Es gibt Eiskunstlaufmütter – und Rennfahrerväter.“ Damals meinte der Badenser Keke Rosberg – den Exweltmeister von 1982, der seinen Sohn Nico in dessen ersten Formel 1-Jahren massiv protegiert und gepuscht hat. Rosberg senior hat sich irgendwann zurückgezogen, als sein Filius sich in der Weltspitze etabliert hat. Papa Pérez hingegen ist der Prototyp des Haug’schen Rennfahrervaters: Wo immer er auftaucht, bricht der Vaterstolz mit allen Emotionen heraus wie aus dem Popocatépetl – dem aktivsten Vulkan Mexikos, der in Sichtweite der Rennstrecke von Puebla steht. Also einer anderen Piste als jener, auf der jetzt der Grand Prix stattfindet – aber eine, die zu besuchen auch lohnt. Denn in Mexiko brodelt die Stimmung immer, die Latinos sind ein motorsportverrücktes Völkchen.

Deswegen lassen sie sich auch so gern von den überbordenden Gefühlswallungen von Papa Antonio Pérez Garibay mitreißen. Und sind so enttäuscht, dass Sergio „Checo“ Pérez – das jüngste von drei Kindern von Antonio und Marilú Mendoza de Pérez – nun von Max Verstappen derart entkernt wird. Man wittert teaminterne Bevorzugung – übersieht dabei aber völlig eine Kerntatsache, die man beachten muss, um die Leistung von Perez einschätzen zu können.

WIr haben dazu in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PITWALK ein seitenlanges Riesenessay veröffentlicht, das die Überlegenheit von Max Verstappen und Red Bull aus allen Blickwinkeln beleuchtet: den Details des Autos, bis ins Kleinste technische filetiert und erklärt, ebenso wie den unterschiedlichen Fahrstilen von Verstappen und Pérez.

Mehr zu dieser Geschichte, die Red Bull Racing anno 2023 genauer analysiert und verständlich macht als jede andere auf dem deutschen Medienmarkt, findet Ihr hier: https://shop.pitwalk.de/magazin/114/ausgabe-74?c=6

Grob gesagt, fährt Pérez die meisten Kurven mit einer Linie, die von oben draufgeschaut einem U gleicht. Verstappens Linienwahl hingegen gleicht aus der Vogelperspektive einem V. Er macht die Geraden sowohl beim Reinbremsen als auch beim Rausbeschleunigen länger als Pérez, braucht dafür aber auch ein Auto, das viel aggressiver umsetzen und die Richtung ändern kann als bei einer ausholenden U-Bewegung. Damit muss der Fahrer umgehen können.

Das U ist die einfachere, aber auch zeitraubendere Fahrweise: Man braucht mehr Raum auf der Bahn und schrubbt, da man länger mit eingeschlagenen Vorderrädern fährt, auch mehr Tempo während der Lenkbewegung ab. Denn der Rollwiderstand der Reifen ist im Geradeauslauf geringer als schräggestellt. Man kann besser kürzer, aber dafür mit einem extremeren Schräglaufwinkel fahren als lange mit ein bisschen eingelenkten Rädern. Diese Gretchenfrage ist nicht typisch für die Formel 1, sondern zieht sich durch alle Motorsportdisziplinen auf der Rundstrecke – von der simplen GT3 über Sportprototypen im Le Mans-Stil bis hin zur Formel 1. Doch in der Grand Prix-Szene ist alles extremer ausgelegt, zudem sind die Reifen schlechter als auf der Langstrecke, sodass die Zeitverluste im U-Stil deutlich größer ausfallen. Im GT3 etwa ist es fast egal, wie man die Kurven nimmt – man kann die Zeit auf andere Weise wieder reinholen. In der Formel 1 geht das nicht, wenn einer so ein extremes V schlägt wie Verstappen.

Das Geheimnis von Versteppens Überlegenheit liegt dabei nicht allein in der Fahrweise begründet. Vielmehr, und das ist die zweite entscheidende Quintessenz unseres Essays in der neuen PITWALK, hat Red Bull-Konstrukteur Adrian Newey das Auto genau auf die Anforderungen des Verstappen’schen Fahrstils maßgeschneidert – wie er es früher auch schon für die ebenfalls eigenen, aber völlig andere Fahrweise von Sebastian Vettel getan hat.

Dazu kommt noch, dass die geistige Tiefe von Sergio Pérez nicht sonderlich ausgeprägt ist. Teammitglieder, die intensiv mit ihm gearbeitet haben, versichern mir, Pérez sei nicht der hellste unter den Formel 1-Fahrern. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht dabei nicht darum, mit ihm über die Neuinterpretation und die Bedeutung des Theaterstücks „Der Kaufmann von Venedig“ in Zeiten des neuen Nahostkonflikts und des nach über Flüchtlinge nach Deutschland hineingeschwappten Neo-Antisemitismus zu diskutieren. Aber auch Rennfahrer brauchen eine gewisse Intelligenz, um mit den Anforderungen des Autos, der Technik, der Rennverläufe und Strategien befassen zu können. Fernando Alonso steht dafür als das beste Beispiel. Und als krasser Gegenpol zu Pérez.

Erst diese Kombination macht die teaminterne Überlegenheit von Verstappen erklärbar – und für Papa Pérez auch zu verdauen. Der muss nur einsehen, dass sein Sohn die ideale Ergänzung für einen Überflieger darstellen kann – wie es einst auch David Coulthard als Adlatus von Mika Häkkinen bei McLaren getan hat. Tut er das nicht, zwingt er seinen Sohn in eine Rolle wie jene, an der Johnny Herbert bei Benetton einst als Teamkollege von Michael Schumacher fast zerbrochen wäre.

Herbert hat damals sein Heil in der Flucht zu einem anderen Team gesucht – und gefunden. Pérez ist noch nicht soweit. Die Familie denkt, er könne Verstappen biegen, wenn er nur gleiches Material bekäme. Und hat die einheimischen Fans mit dieser Denke infiziert.

Drum wird Verstappen in Mexiko-Stadt mit einem Hexenkessel rechnen müssen, in dem er den schlechtesten Stand des Jahres haben wird.


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