21.11.2024
Der Anflug auf Las Vegas ist immer eine besondere Schau. Denn meistens kommt man nicht nur direkt über den Strip – also die glitzernde Meile voller Kasinos und anderer Sündenpfuhle des nordamerikanischen Babylon – runter, sondern auch über den Las Vegas Motor Speedway. Das ultraschnelle Oval liegt etwas außerhalb der Stadtgrenze; es ist ein Stück tragischer Motorsportgeschichte. Denn 2011 verstarb hier der zweifache Indy 500-Sieger Dan Wheldon bei einem brutalen Massenunfall, in den 15 Autos verwickelt waren. Der gebürtige Engländer stieg im Pulk auf, nachdem er zu spät erkannte, dass wegen des Unfalls etwas weiter vorn seine unmittelbaren Vorderleute vom Gas gingen und er deswegen auf einen Vordermann auffuhr. Er krachte mit mehr als 370 km/h in einen Begrenzungszaun – und zwar Kopf voran, weil sich sein Auto in der Luft überschlagen und eingedreht hatte.
Wheldon, genannt „Löwenherz“, war sofort tot.
Heute fahren seine beiden Söhne im Konfirmandenalter Gokart und streben ebenfalls eine Profikarriere in der IndyCar-Serie an – also im nordamerikanischen Pendant zur Formel 1.
Im Vorfeld des Grands Prix von Las Vegas erwachte der Motor Speedway mal wieder aus seinem Dornröschenschlaf. Denn seit dem Unfall von Wheldon ist dort eigentlich nicht mehr viel los. Die NASCAR-Serie gastiert dort, also die millionenschwere US-amerikanische Tourenwagenserie für dicke V8-Bollermänner, und auf einem Nebenareal findet alljährlich eines der wichtigsten Nachwuchskartrennen der USA statt. Doch großen Motorsport von internationaler Relevanz gibt es auf dem Las Vegas Motor Speedway nicht mehr.
Wenige Tage vor dem Grand Prix in der Spielermetropole ließ sich immerhin Max Verstappen mal auf dem Ovalkurs blicken. Denn der WM-Tabellenführer wurde von Acura – der nur in Nordamerika erhältlichen Nobelmarke von seinem Formel 1-Motorlieferanten Honda – für einen Promotiontermin eingespannt. Der Niederländer fuhr zu Werbezwecken einen jener Acura, mit dem Honda in den USA werksseitig in der IMSA-Serie unterwegs ist – einer Meisterschaft für Sportwagenlangstreckenrennen, die alljährlich mit den 24 Stunden von Daytona Ende Januar beginnt. Verstappen sollte mit seiner Probefahrt im Acura die Werbetrommel für die Nobelmarke und deren Motorsportengagement in den Staaten rühren.
Das tat der angehende Weltmeister gern. Denn die Autos aus der IMSA fahren auch bei den 24 Stunden von Le Mans – und den Langstreckenklassiker in Westfrankreich würde Verstappen nach seiner Formel 1-Karriere nur zu gern mal selbst bestreiten. Der Test in Vegas, auch wenn meist nur mit 90 Prozent seines Könnens absolviert, bot da eine willkommene Gelegenheit zum Reinschnuppern. Und völlig befreit noch dazu. Denn Lando Norris und McLaren haben mit zuletzt erschreckend blutleeren Auftritten dafür gesorgt, dass sie Verstappen alle Trümpfe im WM-Kampf zugespielt haben. Obschon Red Bull seine Vormachtstellung technischerseits verloren hat, ist der Fahrertitel ihnen dennoch kaum mehr zu nehmen.
Also kann Verstappen sich auch mal ein bisschen anderweitig orientieren.
Er ist nicht der einzige, der seine Fußangeln nach Le Mans ausgeworfen hat. Auch Sebastian Vettel würde zu gern mal die 24 Stunden fahren. Er hat sich sogar extra bei unserem PITWALK-Verlag mit gezielten Heftnachbestellungen von jenen Ausgaben, in denen Le Mans ein großes Thema ist, in das komplexe Thema des Langstreckensports eingelesen. Doch seine Pläne drohen dem großen allgemeinen Chaos beim VAG-Konzern – also bei Volkswagen – zum Opfer zu fallen. Denn eigentlich hätte Konzernchef Oliver Blume Vettel als Markenbotschafter unter Vertrag nehmen und ihm so Starts im Porsche-Werksteam in der WM und in Le Mans ermöglichen wollen. Denn Vettel eigne sich ideal als Aushängeschild für den VAG-Konzern, biete er doch die ideale Kombination aus Sportlichkeit und Umweltbewusstsein, nachdem er zum Ende seiner Formel 1-Zeit sein grünes Gewissen entdeckt hat. Das hätte passen können für VW und den Konzern, um den enormen Glaubwürdigkeitsproblemen bei der Umstellung auf und Marktpositionierung von E-Autos etwas Werbewirksames entgegenzusetzen.
Doch weil das Unternehmen im letzten Quartal einen Gewinn von – Achtung, Sarkasmus! – nur noch 1,58 Milliarden Euro gemacht hat, muss man nun dringend sparen. Denn nur vom Mitleid mit den so geringen Überschüssen kann man Aktionäre nicht zufriedenstellen. Deswegen kann VAG auch das Motorsportprogramm von Tochter Porsche nicht wie geplant weiterführen. Das erste Opfer: André Lotterer. Der Vertrag des gebürtigen Duisburgers ist nicht verlängert worden. Denn er ist noch ein Überbleibsel aus der alten Zeit, als Porsche mit echten Hightech-Prototypen in Le Mans fuhr. Mit entsprechend hohen Fahrergagen. Für die aktuelle, deutlich simplere LDMh-Generation tun es auch Fahrer, die aus der GT3-Gilde für seriennahe Sportwagen hochbefördert werden – und die erheblich weniger Geld kosten als etwa Lotterer.
Auch Vettel ist plötzlich zu teuer. Denn es zählt nicht mehr, wie viel werbliche Reichweite man in die relevante Zielgruppe hinein erreichen kann – sondern nur noch, wie wenig eine Maßnahme kostet. Der Langzeiteffekt ist klar: Die Verkäufe werden sinken, denn die Firma, die aufhört zu werben, ist wie der Mann, der die Uhr anhält, um Zeit zu sparen. Doch solche Folgen stellen sich immer langfristig ein: Wenn sie fürs Unternehmen spürbar werden, sind die Verantwortlichen im Marketing und im Vorstand schon lang’ nicht mehr in Amt und Würden.
Der Blick auf die Zahlen diktiert Porsche ein Aufrücken von Formel E-Weltmeister Pascal Wehrlein ins LMDh-Aufgebot, zu Lasten von Vettel. Denn Wehrlein hat seine Chancen in der Formel 1 und im DTM gehabt und nicht genutzt. Die Formel E hat er für Porsche gewonnen, doch von der Serie für Elektroformelrennfahrzeuge kriegt keiner etwas mit. Jetzt hat er gerade in Daytona einen Porsche 963 LMDh getestet, in Vorbereitung auf einen Aufstieg als dritter Mann für die Langstreckenrennen. Er ist billiger als Vettel, ganz einfach.
Solche Sorgen hat Verstappen nicht. Sollte er nach seinem Vegas-Test wirklich Lust auf Langstreckensport verspüren, wird Honda ihm den roten Teppich ausrollen und vergolden. Denn die Japaner wissen im Gegensatz zu VAG noch, wie man Motorsport nutzt, um Straßenautos zu bewerben.