10.06.2022
Der angekündigte Formel 1-Einstieg von Audi wirft seine Schatten bis nach Le Mans – wo an diesem Wochenende das berühmte 24-Stundenrennen auf dem Programm steht. Audi hat den Klassiker 230 Kilometer westsüdwestlich von Paris jahrzehntelang dominiert, Sportprototypen mit immer neuen technischen Innovationen entwickelt und damit sowohl die Geschichte des Rennens geprägt als auch das eigene Markenimage entscheidend geprägt.
Und plötzlich verleugnet Audi die eigene Erfolgsgeschichte.
Im Museum an der Rennstrecke – eine Reliquiensammlung, quasi eine Art Völkerkundemuseum des Motorsports – standen jahrelang viele Exponate der Ingolstädter Historie, darunter Epoche machende Konstruktionen wie der erste Dieselsiegerwagen und der Bahnbrecher für die Hybridtechnik. Jetzt hat Audi all’ diese Leihgaben wieder zurückgefordert und auch schon abholen lassen – um sie zu verkaufen.
Denn in Bayern sammeln sie Geld wie der Küster mit dem Klingelbeutel. Die Transformation der Marke hin zur Elektromobilität verschlingt Unsummen. Ganz nebenbei muss man die Infrastruktur und die Technik für den Formel 1-Einstieg aufbauen und für 2026 einen ganz neuen Turbomotor konstruieren. Und man muss ein neues Modell für die Rallye Dakar 2023 auf Kiel legen. Denn der Erstling, in dem Stéphane Peterhansel, Carlos Sainz und Mattias Ekström im Januar diesen Jahres bei der härtesten Rallye der Welt antraten, hatte einen entscheidenden Nachteil: Seine Reichweite pro Tankfüllung reichte nicht für die langen Etappen in der Wüste.
Das Dakar-Projekt stellt die Fachwelt eh’ vor ein Rätsel: In dem e-tron, der futuristisch aussieht wie das Raumschiff von Captain Future in den alten Zeichentrickfilmen, sorgen je ein Elektromotor an der Vorder- und Hinterachse für Allradantrieb. Aber angetrieben werden die Stromer nicht nur vom reinen Saft aus den Akkus, die man vorher aufgeladen hat wie bei einem E-Auto an der Wallbox. Denn dazu würde die Akkukapazität bei bis zu sieben Fahrstunden nicht reichen. Stattdessen befeuert ein Zweiliterturbomotor – der vorher in den Werkswagen im Deutschen Tourenwagenmasters zum Einsatz gekommen war, ehe Audi dort ausstieg – einen Generator, der dann während der Fahrt die Akkus auflädt, damit die wiederum ihren Strom an die E-Motoren weiterreichen können.
Ist das jetzt besonders innovativ, quasi „The Best of Both Worlds“? Oder besonders schräg? Immerhin verbraucht der Verbrennungsmotor über eine Etappe hinweg genauso viel Benzin wie ein Aggregat in einem konventionellen Rallyewagen, etwa dem siegreichen Toyota Hilux – nur um E-Motoren anzutreiben. Eher noch mehr, weil Akkus und E-Technik schwer wiegen, also durch den tiefen Wüstensand geschleppt werden müssen, und das frisst Sprit. Nach einer anfänglichen Kommunikationsoffensive, die viele Kollegen mitgenommen hat, mehren sich inzwischen Stimmen, welche die Sinnhaftigkeit dieses Elektrohybrid hinterfragen.
Und nun auch noch das Versilbern der eigenen Geschichte. Dabei hat Audi, wenn man mal zurückblickt, vom Motorsport profitiert wie kaum eine andere Marke in der Historie. In den Achtzigern stieg man mit urwüchsigen Boliden der Gruppe B in die Rallye-WM ein. Bis dahin kannte die Öffentlichkeit die Firma als Marke mit klapprigen Konstruktionen wie dem Audi 50. Doch als Walter Röhrl, Hans Mikkola und Sting Blomqvist mit den ersten Allradlern der Geschichte aufgeigten, wandelte sich das Image schlagartig. In der DTM schafften die Ingolstädter danach das Kunststück, selbst einer Vorstandslimousine wie dem V8-Dickschiff einen dynamischen Anstrich zu pinseln. Und in Le Mans, bei einem der zwei größten Autorennen der Welt, demonstrierten sie mit aufregenden Prototypen immer neue technische Fortschritte.
Jetzt taumelt die Marke durch die Transformation. Einerseits soll alles nur noch elektrisch fahren, was aus Ingolstadt auf die Straßen kommt. Andererseits verlässt man die Formel E, eine Rennserie für reine Stromer, die genau zu diesem Sinneswandel gepasst hätte, um bei der Dakar zu zeigen, dass E-Mobilität ohne Benzinmotor als Range Extender nicht motorsport- und damit auch nicht alltagstauglich ist. Und dann steigt man auch noch in die Formel 1 ein, obwohl die Königsklasse mit Verbrennern fährt. Die werden zwar ab 2026 mehr hybridisiert – sind aber eben noch immer keine reinen E-Autos.
Ob der Firmenkurs der Transformation richtig ist, steht auf dem einen Blatt. Auf einem ganz anderen steht, wie man mit einer glorreichen Vergangenheit umgeht. Denn es gibt selbst für Elektropuristen keinen Anlass, alte Erfolge auszulöschen wie eine falsche Lösung in der Mathearbeit mit dem Tintenkiller. Der HSV verschweigt ja schließlich auch nicht, dass er mal Deutscher Meister und Europapokalsieger war, nur weil er seit Jahren vergeblich um den Wiederaufstieg in die Bundesliga kämpft.
Wenn man die Vergangenheit bewusst verklärt, kann man daraus sogar Brücken bauen, die über die Unsicherheit der Gegenwart hinwegführen. Das aber geht nur, wenn man nicht vor lauter Political Correctness alles hintanstellt – und vor lauter Unternehmenskultur, es allen recht machen zu wollen und auf Biegen und Brechen Kosten zu senken und Bilanzen aufzuhübschen, alles Andere vergisst.
Darf man einer hübschen Frau heutzutage keine Komplimente mehr machen? Ist man dann gleich „#metoo“? Natürlich nicht – solange man es mit Stil macht. Sogar im Gegenteil: Wenn man vom Charme Abstand nimmt, besteht der Weg vom Galan zum Rüpel nur noch aus einem einzigen Schritt.
Audi macht gerade genau diesen Schritt. Und es wird viel Erfolge mit der neuen Formel 1-Projekt brauchen, um dieses Bild wieder geradezurücken. Aber wo sollen die Erfolge herkommen? Audis Schwestermarke Porsche hat sich über eine fünfzigprozentige Beteiligung gerade das beste Team der Branche als Partner für seinen Werkseinstieg als Motorlieferant ab 2026 gesichert: Red Bull. Audi hat einen möglichen Deal mit McLaren, der Erfolg versprochen hätte, dagegen nicht zum Abschluss gebracht – aus Kostengründen, warum auch sonst? Jetzt stehen die Ingolstädter ohne Topteam da.
Ihnen bleibt nur der Weg, sich mit den Hinterbänklern von Williams zu verbünden. Was unweigerlich einen langen Marsch an die Spitze bedeuten würde. Und die Geduld haben die Verantwortlichen kaum, schließlich müssen sie sich vor den Konzernlenkern der VAG in Wolfsburg rechtfertigen.
Als zweite Alternative steht der Kauf des eidgenössischen Sauber-Teams im Raum. Die Geschichte lehrt aber: kostet viel, bringt wenig. Audis Nachbar BMW hat genau mit dieser Strategie und auch mit exakt diesem Partner in der Formel 1 schon mal Schiffbruch erlitten.
Der heutige Audi-Vorstand Markus Duesmann war damals BMW-Motorenmann in der Formel 1.